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22.11.2006

DR. WATSON Kolumne

Bild: Diese Produkte können Ihre Gesundheit gefährden: Der Kolumnist im Kreise zitronensäurehaltiger Erzeugnisse.
Joachim E. Röttgers/Graffiti

Rette sich wer kann

Von Hans-Ulrich Grimm

Einmal, da waren sie ganz mutig, fast kämpferisch. Der Anlass scheint harmlos: Es ging um Zitronensäure, einen Zusatzstoff, der in vielen Soft Drinks wie Fanta drin ist, aber auch in Gummibärchen von Haribo, und der dazu führt, dass Kinder immer häufiger nicht mehr lächeln, weil sie die braunen Stummel nicht zeigen möchten, die sie statt Zähnen tragen: "Erosionsschäden" durch solche Säuren. Dagegen wollten sie angehen, die Leute vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Und so nahmen sie ihren ganzen Mut zusammen und forderten kühn einen "Warnhinweis", der auf die Gefahren für die Zähne aufmerksam mache und "dass derartige Produkte für Säuglinge und Kleinkinder nicht geeignet" seien.

Die Forderung trägt das Datum des 9. Januar 2004. Ein historisches Datum im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin, der wichtigsten Instanz in Deutschland, wenn es um Gesundheitsrisiken von Lebensmitteln geht. Warnhinweise auf Haribo und Fanta. Das fordern sie dort selten.

Sie forderten es auch nicht lange. 13 Monate später verschwand die Forderung in der Versenkung. Die Hintergründe sind nicht zu klären. Sicher ist: Das Bundesinstitut für Risikobewertung gehört zur deutschen Bundesregierung, und die möchte sich in Sachen Zusatzstoffe lieber ganz weit zurückhalten.

Gesund sind sie nicht, die Farbstoffe, Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe, Süßstoffe, Emulgatoren Für Allergiker können sie tödlich sein. Sie können auch dazu führen, dass Kinder hyperaktiv werden, sie können das Gehirn beeinträchtigen, ja sogar bei Alzheimer und Parkinson eine Rolle spielen. Manche Zusatzstoffe, die sogenannten Sulfite, können sogar im Darm gefährliche Bakterien wachsen lassen, die bei Ölfirmen gefürchtet sind, weil sie Pipelines von innen her anfressen.

Es kommt dabei natürlich auch auf die Dosis an. Allerdings: Grade von den Sulfiten aber (die unter anderem in Kartoffelpüree von Pfanni oder Maggi enthalten sind) nehmen Kinder bis zum Zwölffachen dessen zu sich, was als akzeptabel gilt. Das kam im Jahr 2001 bei einer EU-Studie zum Verzehr von Zusatzstoffen in der Europäischen Union heraus. Die deutsche Bundesregierung hatte daran nicht mitgewirkt, schickte zwischendurch nur mal eine bayerische Verzehrsstudie nach Brüssel, in der es um Bier und Brezeln ging, aber nicht um die Chemie im Essen. Das fanden selbst deutsche Regierungs-Insider ziemlich witzig.

Die deutsche Bundesregierung will nicht wissen, wie viel Chemie die Deutschen verzehren. Zwar wurden 1995 in Europa viele Zusatzstoffe neu zugelassen, mit der Maßgabe, dass auch der Verzehr statistisch erfasst wird. Die deutsche Bundesregierung blieb hartnäckig untätig.

Die EU geht dagegen nicht einmal vor. Sie will das Verfahren jetzt ganz neu aufrollen.

Die Gelegenheit ist günstig: Die Deutschen fangen jetzt gerade mit einer riesigen Verzehrsstudie an. Scharen von Interviewern befragen die Republik. Um Zusatzstoffe geht es nicht. Aber es finden "Verhandlungen" mit der Industrie statt, sagt die Chefin der Studie. Bisher wollte die Industrie ihre Zusatzstoff-Daten nicht rausrücken. "Ich weiß ja nicht, was Nestlé reintut", hatte der zuständige Beamte im Ministerium immer geklagt.

Vielleicht sind sie ja jetzt so nett und verraten ihre Chemie-Rezepturen. Das Gute: Wenn uns die Regierung nicht schützen will, schützen wir uns selbst vor Chemie. Rette sich, wer kann. Wir kommen prima mit Ingwer und Parmesan und Kohlköpfen und Karotten klar. Wir kennen die Rezepte für Hühnerfond und Sauce Bolognese und Sushi. Die Rezepte für das schöne Leben.