Das Berliner Verbraucherministerium hat die Aromenindustrie aufgefordert, bestimmte Geschmacksstoffe nicht mehr zu verwenden. Das Ministerium reagierte damit auf die Stellungnahme eines Expertengremiums der Vereinten Nationen, das einige Aromen als krebserregend und erbgutschädigend eingestuft hat.
Gesundheitlich bedenklich ist nach Ansicht der Experten vor allem ein Stoff namens "Acetamid".
Der Stoff sei "klar krebserregend bei Mäusen und Ratten" und daher völlig "unangemessen" für den Einsatz als Geschmacksstoff, befand das weltweit wichtigste Fachgremium für Lebensmittelzusätze mit dem englischen Kürzel Jecfa ("Joint WHO/FAO Expert Committee on Food Additives"). Bedenklich seien auch 40 weitere Aromastoffe, die Schäden am Erbgut hervorrufen könnten. Die Stellungnahme wurde im Juli veröffentlicht, reagiert hat das Berliner Verbraucherministerium (BMVEL) jedoch erst im Oktober.
Inwieweit die Verbraucher wirklich gefährdet sind, können die Behörden derzeit nicht abschätzen: Denn es ist den Lebensmittelüberwachern nicht bekannt, wie viel davon verzehrt wird. Auch der Selbstschutz, auf den sich die Konsumenten häufig zurückziehen müssen, ist in diesem Falle kaum möglich, denn die Behörden wissen auch nicht, wie Acetamid und die anderen bedenklichen Aromastoffe eingesetzt werden, und wie sie schmecken.
Über die Einsatzfelder von Acetamid, so teilte das Berliner Verbraucherschutzministerium auf Anfrage mit, "liegen keine Erkenntnisse vor". Am 18. Oktober 2005 schickte das Berliner Verbraucherministerium daher einen Brief an den Verband der Aromenindustrie, in dem es um die Chemikalie Acetamid ging. Die Produzenten der Geschmacksstoffe, so bat das Ministerium, sollten "dafür Sorge" tragen, "dass Acetamid bei der Herstellung von Lebensmitteln nicht verwendet wird".
Die Aromahersteller nehmen die "Hinweise" der Jecfa-Experten "ernst" und prüfen nach Angaben ihres Verbandes derzeit, ob Acetamid in Lebensmitteln eingesetzt wird.
Die Lage an der Aromafront ist unübersichtlich. Die meisten Stoffe mussten nie förmlich zugelassen werden, es fehlen Daten über Einsatzbereiche und Wirkung. Die Behörden haben keinerlei Überblick: "Der Aromenbereich ist schwer zu durchschauen", sagt ein Kenner der Materie aus der Lebensmittelkontrolle: "Aromastoffe, das ist eine Hexenküche der Chemie ohnegleichen, und zwar unabhängig davon, ob sie natürlicher oder künstlicher Herkunft sind."
7000 bis 8000 verschiedene Geschmäcker bietet die Aromenindustrie ihren Kunden, den Lebensmittelfirmen, an. Brathuhn etwa, Joghurt, Ananas, Gulasch. Die Geschmäcker werden simuliert mit Hilfe von 2500 einzelnen Aroma-Substanzen, die teilweise aus der Natur stammen (etwa aus Holz), teilweise sogar aus echten Früchten, mitunter aber auch aus der Retorte (Rohstoff: Rohöl). 1500 dieser Stoffe hatte das Jecfa-Gremium jetzt untersucht.
Viele davon sind auch nach Meinung der Jecfa-Mitglieder völlig harmlos.
Bei anderen allerdings konnte das Risiko nicht eingeschätzt werden, weil aktuelle Produktionsdaten fehlen: Die Industrie hatte, so die Jecfa-Stellungnahme, teils unvollständige, teils unzutreffende Angaben gemacht.
Daher kündigten die Jecfa-Experten an, dass sie die Sicherheitsbescheide "widerrufen" würden, wenn die geforderten Daten nicht bis Ende 2007 vorlägen.
Die gesamten Produktionsdaten sind indessen bekannt: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und der europäischen Statistikbehörden hat die deutsche Nahrungsindustrie im Jahr 2004 über 36.000 Tonnen an Aromastoffen verarbeitet, knapp 190.000 Tonnen waren es in der Europäischen Union. Als Branchen-Faustregel gilt, dass ein Gramm Aroma reicht, um ein Kilogramm Lebensmittel mit Geschmack zu versehen.