Schwere Vorwürfe gegen die führenden Experten für Kinderernährung erhebt der Autor Hans-Ulrich Grimm in seinem neuen Buch. Im Zentrum steht der Münchner Professor Berthold Koletzko. Grimm weist auf verhängnisvolle Industrienähe und damit einhergehende Interessenskonflikte hin, die zu einer Gefahr für die Kindergesundheit werden könnten. Etwa durch die neuen Richtlinien für Babyernährung, die sich, fernab der wissenschaftlichen Fakten, mehr an den Interessen der Industrie als jenen der Kinder orientierten.
Professor Berthold Koletzko von der Ludwig-Maximilians-Universität München ist, so der Autor, die unbestrittene Nummer Eins in der Expertenszene im deutschsprachigen Raum.
Koletzko sei auch Zentralfigur millionenschwerer Forschungsprojekte der Europäischen Union (EU) und steuert laut Grimm einen streng industrienahen Kurs. Koletzko arbeite unter anderem für Firmen wie BASF, Milupa, Roche, Kellogg’s, Nestlé und Danone. Und auch für den Babyfood-Giganten Hipp.
Koletzko war auch tätig für den umstrittensten Lobbyverein der globalen Nahrungsindustrie, das International Life Sciences Institute (Ilsi), das getragen wird von Firmen wie Kellogg’s, Red Bull, Mars, Coca-Cola, Monsanto, McDonald’s.
Das schreibt Hans-Ulrich Grimm in seinem neuen Buch, das jetzt im Droemer Verlag erschienen ist unter dem Titel: „Gummizoo macht Kinder froh, krank und dick dann sowieso.“
Deutliche Spuren dieses Zusammenwirkens mit seinen Sponsoren tragen, so weist Grimm in seinem Buch nach, die neuen offiziellen Richtlinien für die Babynahrung, die Koletzko bei einem Kinderärztekongress voriges Jahr in Hamburg präsentierte, bei dem er auch einen Werbeauftritt für Hipp absolvierte, sogar als „Chairman“ eines „Hipp-Symposions“.
Stellenweise klängen die neuen Richtlinien auch wie eine Werbebroschüre für Hipp-Gläschen. Etwa da, wo es heißt: „Beikostfertigprodukte erfüllen hohe gesetzliche Anforderungen, z. B. die Minimierung von Pestizidrückständen“. An die Gläschenwerbung erinnere auch eine weitere Passage über die Vorteile der Gläschen: „Sie sparen Zeit und Arbeit.“
Von Nachteilen, etwa fürs Immunsystem oder die Intelligenzentwicklung, die in der internationalen Forschung diskutiert werden, enthalte die Richtlinie kein Wort.
Dafür aber Auflagen für Eltern, die sich gegen die Produkte der Sponsoren entscheiden.
So sollen Mütter, die ihre Kinder mit Muttermilch stillen möchten, statt mit Kunstmilch aus dem Fläschchen zu füttern, Jodtabletten nehmen. Auch ihren Kindern, wenn sie ihnen selbstgemachten Brei geben, sollen sie Jod dazu geben.
So sieht das die Richtlinie vor, die Koletzko beim Kinderärztekongress in Hamburg vorgestellt hat, und die unter dem Titel „Ernährung und Bewegung von Säuglingen und stillenden Frauen“ veröffentlicht wurde im September 2016 in der Zeitschrift Kinderheilkunde.
Jod für die stillende Mutter und ihr Baby? Das scheint ein ganz spezieller deutscher Sonderweg zu sein.
Die neuen internationalen Richtlinien sehen eine solche Jodpflicht nicht vor, auch in der benachbarten Schweiz, einem klassischen Jodmangelgebiet, gibt es sie nicht. Die Schweizer Experten plädieren zudem, wie die anderen internationalen Kollegen, eher für selbstgekochten Brei.
In Deutschland herrscht zudem nach Regierungsangaben kein Jodmangel, und auch die Gläschen, etwa von Hipp, enthalten nach Firmenangaben kein zugesetztes Jod.
Ist die Jodpflicht von Koletzko und seinen Kollegen eine reine Strafmaßnahme für die Eltern, die sich den Bedürfnissen der Sponsoren nicht fügen möchten?
Zur Jodpflicht sowie zu seinen Industrieverbindungen mochte sich Professor Koletzko gegenüber Autor Grimm nicht äußern.
Hans-Ulrich Grimm:
Gummizoo macht Kinder froh, krank und dick dann sowieso
Kinderernährung - was gut ist und was schädlich
Droemer Verlag 2017, 320 Seiten
ISBN: 978-3-426-27642-6