Zurück
27.07.2017

DR. WATSON Recherche

Altern auf der Höhe der Zeit: Sogar geschlechtsneutrale Toiletten gibt’s beim Weltkongress in San Francisco. Links: DR. WATSON-Redakteur Hans-Ulrich Grimm.
Lingli Wang

Schöner altern - aber wie?

DR. WATSON auf Anti-Aging-Recherche in Kalifornien / Teil 1

Er findet mitten in San Francisco statt, in dieser Woche: der weltgrößte Kongress zum Thema Altern. Hier und vor allem im benachbarten Silicon Valley wird der Kampf gegen das Altern, ja sogar gegen den Tod organisiert. Schöner, klüger, länger leben. DR. WATSON ist unterwegs in Kalifornien, um herauszufinden, was heute da so alles möglich ist, technisch und natürlich auch ernährungsmäßig. Ein Thema mit Zukunft, in einer Welt, in der viele immer älter werden. Ewige Jugend! Bei manchen sieht es allerdings so aus, als ob es schon ein Sieg sei, wenn sie die heutige Nacht überleben. Sie wohnen hier sozusagen auf dem Gehweg.

Die ehemalige Hippie-Hauptstadt San Francisco ist jetzt vor allem die Heimat der Heimatlosen, der Homeless People. Dabei sind ihre Nachbarn sehr edel: Luxusgeschäfte von Burberry bis Valentino. Sie selbst sehen eher zerlumpt aus, zerzaust, ihre Habe steht in einem Einkaufswagen daneben, daneben oft noch ein Rollstuhl.

Mit ihnen ist natürlich kein Geschäft zu machen. Um sie geht es eigentlich auch nicht, bei den vielen Vorträgen in dem imposanten Kongressgebäude, in den 38 turnhallengroßen Sälen, und den weiteren Veranstaltungsräumen im Mariott Marquis Hotel schräg gegenüber.

6000 Teilnehmer sind angereist zum 21. Weltkongress der internationalen Vereinigung der Altersforscher IAGG (International Association of Gerontology and Geriatrics). Natürlich ist auch die Industrie dabei, auf der angeschlossenen Produktmesse, oder mit einem gesponserten Symposion; der Food-Gigant Nestlé zum Beispiel, auch Pharmafirmen wie Pfizer („Viagra“). Das Alter ist natürlich auch ein Geschäft, eines mit Zukunft. „Disrupt Aging“ ist das Motto. Disrupt, das bedeutet so viel wie: zerstören. Das Altern soll unschädlich gemacht werden.

Es geht auch um Technik, um Roboter als Helfer, um Ersatzteile für einen erlahmenden Körper. Es geht um Vitamine, Hormone. Um junges Blut für alte Knacker. Es geht, wie immer, um die Pille gegen das Alter, die ganz große Milliardenhoffnung der Branche. Es geht natürlich auch um die Ernährung. Die ist besonders wichtig, weil sie wirkt, noch bevor der Körper ein Wrack ist und nur noch schwer zu reparieren.

Allon Canaan von der Elite-Universität Yale hat einen ganz großen Coup gelandet: Er hat, bei Mäusen, nur ein einziges Gen stillgelegt, FAT10 mit Namen, und damit auf einen Schlag deren Leben um 25 Prozent verlängert – und schlanker sind sie auch noch geworden. Und das unabhängig vom Geschlecht. Wobei, schränkt Canaan ein: „Ich habe nicht alle Geschlechter untersucht, nur Männer und Frauen.“

Das war ein kleiner Scherz: San Francisco surft ja sehr auf der Zeitgeistwelle, und es gibt jetzt viele Menschen, die sich keinem der herkömmlichen Geschlechter zugehörig fühlen. Auf dem Kongress gibt es sogar geschlechtsneutrale Toiletten für sie.

Ob die Sache mit dem Gen das Menschengeschlecht wirklich weiter bringt, ist noch offen. Es handelt sich um ein Entzündungsgen, und Entzündungen sind bekanntlich einerseits an vielen großen Zivilisationskrankheiten beteiligt, Alzheimer, Herzleiden, Diabetes – aber andererseits auch eine Waffe des Körpers gerade gegen Krankheiten. Und ob man die straflos ausschalten kann?

Bisher haben sich die Hoffnungen der Anti-Aging-Kämpfer immer wieder zerschlagen, weil der Körper doch komplizierter ist als gedacht. Wachstumshormone, zum Beispiel. Bei manchen immer noch die Basis einträglicher Geschäfte, obwohl sie auch den Krebs wachsen lassen können.

Und das Leben so eher verkürzen.

Andrzej Bartke, Professor für Innere Medizin an der Southern Illinois University, hat beim Kongress in San Francisco berichtet, dass ausgerechnet Lebewesen, die eher kürzer geraten sind, länger leben, im Alter klüger sind, zumindest weniger vertrotteln und sogar sexmäßig länger auf der Höhe sind als die größeren Zeitgenossen. Titel seines Vortrags: „Wachstum und Altern – die versteckten Kosten der Statur“.

Alles hat also seinen Preis.

Vielleicht sind also die sanfteren Methoden die besseren im Kampf gegen das Alter. Vielleicht ist es sogar besser, nicht immer nur an sich zu denken, sondern auch an andere. Das kann sogar die Blutwerte verbessern, die eigenen, Krankheiten verhindern, und so das Leben verlängern, meinte Professor Neal Krause im Raum 3009. Wer die Aufmerksamkeit auf andere richtet, nicht nur immer um sich selbst kreist, verbessert sein Selbstwertgefühl, reduziert messbar seinen Stress, und hilft so nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst.

Sogar beten würde helfen, sagt Professor Krause. Beten sei jedenfalls gut für den Cholesterinspiegel.

So gesehen wäre es also schon was, wir würden, wenn wir den Unbehausten und Zerzausten, die auf dem Gehweg wohnen in San Francisco Downtown, schon nicht helfen können, sie wenigstens in unser Nachtgebet einschließen.

Ob das ihnen das wirklich hilft, ist nach wissenschaftlicher Erkenntnislage nicht sicher. Wohl aber, dass es uns selbst ein bisschen Lebenszeit bringt. Glaubt wenigstens Professor Krause von der Universität von Michigan, der Mann mit dem weißen Bart, auf der Basis seiner Daten.