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13.08.2017

DR. WATSON Recherche

Niemals alt: Aubrey de Grey, der Guru der Immer-Jung-Jünger, mit DR. WATSON Redakteur Hans-Ulrich Grimm (links).
Lingli Wang

Ewiges Leben, hier und jetzt

DR. WATSON auf Anti-Aging-Recherche in Kalifornien / Teil 4

Hier geht es ums Ganze: Den endgültigen Sieg über den Tod. Diese Woche feiern die radikalen Altersbekämpfer ihr Festival in San Diego. Was gibt’s Neues? Wie weit sind wir? Mit dabei: Professor Aubrey de Grey, der Superstar der Bewegung. Er sieht das Altern als so etwas wie das Rauchen: Gesundheitsgefährdend, aber überwindbar. DR. WATSON hat ihn gefragt, ob er sich das Altern schon abgewöhnt hat.

San Diego: Die monströs zerfranste Millionenstadt am Pazifik, kreuz und quer durchschnitten von riesigen Highways. Sogar Strand gibt es hier fast unbegrenzt, nicht nur mit Luxushotels, Millionärsvillen, Wolkenkratzern, sondern auch coolen, ein bisschen heruntergekommenen Surferhütten.

Die Stimmung ist natürlich super hier, fast jeden Tag im Jahr scheint die Sonne.

Alles scheint möglich. Und so ist das auch der passende Ort für das Treffen der ultra-optimistischen Anti-Aging-Jünger: das RAADFestival im Convention Center, einem schon etwas in die Jahre gekommenen monumentalen Kongresszentrum, das von Stil und Ausmaßen her auch in China oder Nordkorea vorstellbar wäre. Der Neue Mensch: Hier soll er vor allem haltbar sein. Und da sind sie hier sehr, sehr optimistisch.

Schon der Eröffnungsabend war PHANTASTIC, mit bombastischer Musik, euphorischen Propheten auf dem Podium, die sich immer gegenseitig versichern, wie GREAT und AMAZING ihre Statements sind. 500 bis 1000 Leute hören zu, aus über 20 Ländern sind sie gekommen, wie der Moderator stolz in den Saal brüllt.

Viele Herren sind in kurzen Hosen gekommen, manche mit Muscle-Shirt; eine junge Frau mit bauchfreiem Top, hellen Jeans und hochhackigen Sommerschuhen. Eine drahtige Rothaarige trägt schrillbunte Leggings. Tätowiert, operiert, optimert: Die Leute hier sind für allerlei Eingriffe offen.

Manche sind schon ein bisschen gebrechlich, bei ihnen müsste es ganz schnell gehen mit der Entwicklung der lebenserhaltenden Maßnahmen. Andere sind noch jung und schön, da wäre es am besten, man könnte den Stopp-Knopf finden, irgendwo im Körper, damit das auch so bleibt.

Frisches Blut, Stammzellentransfer, Gentherapie. Technik aller Art: hier sind die Jünger der Selbstoptimierungsreligion zusammengekommen.

Das Alter stoppen, ja sogar umkehren - WHY NOT?

„Können Sie sich noch erinnern an die Zeit, als die Leute am Alter gestorben sind?“ Das würden wir uns schon in wenigen Jahren fragen, so eine der Prognosen vom Podium. Schließlich gab es ja mal Zeiten, da sind Menschen massenhaft an Infektionskrankheiten gestorben. Die Zeiten sind auch vorbeigegangen. Warum also soll man heute noch am Alter sterben?

Das sind so die Fragen, um die es diese Woche in San Diego geht. Und natürlich auch darum, wie in der globalen Langlebigkeitsindustrie Geld zu verdienen ist. Wie das mit den Investments funktioniert, und wie aus der Altersbekämpfung eine Geldmaschine wird.

Wir sind hier schließlich in Amerika.

Es gibt, wie üblich, auch die Industrieausstellung, mit supertollen Produkten für die Lebensverlängerung, bioaktive Nahrungsergänzungsmittel, „Hirn-Bohnen“, eine spezielle Mixtur aus Substanzen, die Stimmung, Geisteszustand, Gedächtnis verbessern sollen. Firmen sind hier, die Hormone anbieten, oder Hormontests, oder Stammzelltherapien. Und Vitamine, klar. Sogar eine „wissenschaftsbasierte“ Kirche ist vertreten, die das fortgesetzte Leben hienieden anbetet, sich für Altersumkehr, auch Künstliche Intelligenz einsetzt.

Einer der weltweit führenden Propheten der Bewegung ist der Mann mit dem Bart und den langen Haaren, die er zum Zopf gebunden hat: Aubrey de Grey. Er lebt im britischen Cambridge, ist außerordentlicher Professor am Moskauer Institut für Physik und Technologie und Mitgründer sowie Chefdenker von SENS, einer Stiftung zur ingenieursmäßigen Altersbekämpfung (Strategies for Engineered Negligible Senescence), die auch vom deutschstämmigen Internetmilliardär und Paypal-Gründer Peter Thiel unterstützt wird.

In seinem Buch „Niemals alt. So lässt sich das Alter umkehren“ gab er der Forschung 15 bis 20 Jahre, um den „Krieg gegen das Alter“ zu gewinnen. Das Buch stammt aus dem Jahr 2007, jetzt sind schon zehn Jahre um. Die Zeit könnte knapp werden.

DR. WATSON hat ihn nach dem Stand der Dinge gefragt, und seinen ganz persönlichen Tipps, wie man dem Tod den Stinkefinger zeigt.

DR. WATSON: „Herr de Grey, vorhin kam hier ein Mann in einem Rollstuhl vorbei. Bei dem müssten Sie sich ja beeilen, das Alter rückgängig zu machen...“

Aubrey de Grey (lacht): "Nun ja, wir werden es versuchen... “

DR. WATSON: „Und Sie glauben, Sie werden schnell genug sein?“

Aubrey de Grey: „Das weiß ich jetzt natürlich nicht. Aber wir denken auch nicht über einen ganz bestimmten Menschen nach. Ich meine, durch jeden Tag, an dem wir die Bekämpfung des Alterns voranbringen, retten wir 100.000 Menschen das Leben. Deshalb ist es für mich auch nicht groß von Bedeutung, welcher Tag das ist, und welche 100.000 Menschen das sind.“

DR. WATSON: „Sie waren bisher sehr optimistisch, dass die Wissenschaft den Krieg gegen das Altern bald gewinnen wird.“

Aubrey de Grey: „Ich sagte immer, dass es eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent gibt, dass wir gewinnen. Ich habe das immer gesagt, sehr vorsichtig.“

DR. WATSON: „Sie sagten, das hängt vom Geld ab. Je mehr Geld die Forscher kriegen, desto eher klappt es.“

Aubrey de Grey: „Es hängt ganz sicher vom Geld ab. Wir sind jetzt ein bisschen gebremst worden durch vieles. Es hängt natürlich auch von der Wissenschaft ab. Ich glaube, das Geld verlangsamt uns vermutlich um zehn Jahre. Im Moment. Aber das ändert sich. Das ist die gute Nachricht.“

DR. WATSON: „Gestern sagten Sie auf dem Podium, wir sollten auf keinen Fall den Fehler begehen, die Komplexität des menschlichen Körpers zu unterschätzen. Haben Sie das früher unterschätzt?“

Aubrey de Grey: „Überhaupt nicht. Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, wie viel Geld wir haben würden, hätte ich den Fortschritt ganz ähnlich eingeschätzt, wie er sich seither gezeigt hat. Natürlich gibt es eine riesige Unsicherheit über das, was geschehen wird. Aber das ist bei jeder Pionier-Technologie so.“

DR. WATSON: „Ihr Ziel es immer noch, Schäden im Körper zu reparieren – und nicht, sie zu verhindern?“

Aubrey de Grey: „Die Idee ist, Schäden zu reparieren, bevor es zu viele gibt. Der Körper ist ja dafür ausgelegt, eine bestimmte Menge an Schäden zu tolerieren. Aber natürlich kann man sie erst reparieren, wenn sie da sind. Also gibt es keinen Grund, bei den Leuten einzugreifen, bevor sie 40 oder 50 Jahre alt sind.“

DR. WATSON: „Sie wollen also nicht bei Menschen im Alter von 25 Jahren, wenn sie in voller Schönheit erblühen, den Stopp-Schalter drücken, damit die Schönheit so erhalten wird?“

Aubrey de Grey: „Es ist kein Stopp-Schalter, es ist der Rückwärtsgang. Wenn wir jemanden nehmen, der schon 70 ist, dann können wir den zurückbringen ins Alter von 25 Jahren.“

DR. WATSON: „Sie wollen den reparieren, aber wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie noch gar nicht die Werkzeuge.“

Aubrey de Grey: „Noch nicht. Aber wir sind auf dem Weg. Ich sagte ja, es kann 25 Jahre dauern, und die sind noch nicht um. Und der Fortschritt ist gut, auf allen Gebieten, und der Gesamtplan musste nicht verändert werden.“

DR. WATSON: „Wäre es da nicht besser, die Schäden erst gar nicht entstehen zu lassen? Durch Ernährung, beispielsweise?“

Aubrey de Grey: „Also, ich hab überhaupt kein Problem mit Leuten, die gern gut essen. Aber der Punkt ist: Auch Leute, die gut essen, werden alt.“

DR. WATSON: „Vielleicht nicht so schnell.“

Aubrey de Grey: „Aber ganz ähnlich. Es macht einen ganz geringen Unterschied. Sie dürfen da nicht falsche Vergleiche anstellen. Wir haben da drei Ebenen. Da gibt es zum einen die Leute, die sich schlecht ernähren, dann jene Leute, die so leben, wie ihre Mutter es ihnen gesagt hat, und schließlich gibt es solche, die legen wahnsinnig viel Wert darauf, immer das Beste zu tun, was nur möglich ist. Und der Unterschied jetzt zwischen schlechter Ernährung und einer durchschnittlichen Ernährung ist ziemlich groß. Sie können Ihr Leben erheblich verkürzen durch schlechte Ernährung, durch Übergewicht, Vitaminmangel und so weiter. Aber der Unterschied zwischen einer normalen Ernährung und der besten, die es gibt, ist winzig, im Hinblick darauf, die viel Extra-Lebenszeit es Ihnen bringt.“

DR. WATSON: „Und wie halten Sie es ganz persönlich?“

Aubrey de Grey: „Ich hab Glück mit meinen Genen, bin biologisch viel jünger als ich wirklich bin.“

DR. WATSON: „Das haben Sie gemessen?“

Aubrey de Grey: „Ja klar. Mehrere Male. Mit High-End-Methoden, 150 verschiedenen Blutwerten, physiologischen Tests. Das bedeutet, ich muss da sehr vorsichtig sein, wenn ich irgendwas mache. Ich sollte zum Beispiel daran denken, dass wir die Biologie noch nicht sehr gut verstehen. Wenn etwas nicht kaputt ist, sollten wir nicht versuchen, es zu renovieren.“

DR. WATSON: „Nehmen Sie irgendwelche Pillen?“

Aubrey de Grey: (Schüttelt den Kopf.)

DR. WATSON: „Infusionen? Frisches Blut?“

Aubrey de Grey: „Nein, nichts.“

DR. WATSON: „Gentherapie?“

Aubrey de Grey: „Noch nicht.“

DR. WATSON: „Vitamine?“

Aubrey de Grey: „Nein.“

Aubrey de Grey: „Eine verantwortungsbewusste, ausgewogene Ernährung.“

DR. WATSON: „Mediterrane Ernährung?“

Prof. de Grey: „Manchmal.“

DR. WATSON: „Denken Sie viel darüber nach?“

Aubrey de Grey: „Nein, ich esse einfach abwechslungsreich. Manchmal esse ich Fisch, Obst, Gemüse, unterschiedliche Arten von Fleisch. Ich sorge einfach dafür, dass ich meinen Körper nicht immer mit den gleichen Sachen füttere.“

DR. WATSON: „Und warum nehmen Sie nicht all die tollen Produkte, die hier angeboten werden?“

Aubrey de Grey: „Weil das, was ich mache, funktioniert. Wenn es einem ungewöhnlich gut geht für sein Alter, dann bedeutet das, man sollte Dinge einfach so lassen, solange nichts falsch läuft. Aber in 20 Jahren, oder vielleicht auch in zehn, dann kann es schon sein, dass ich merke, es geht abwärts, da kann es schon sein, dass ich auf solche Kenntnisse zurückgreife und versuche, es damit in den Griff zu kriegen.“

DR. WATSON: „Herr de Grey, vielen Dank für das Gespräch.“