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19.05.2015

DR. WATSON Reportage

Selfie mit einem der üblichen Verdächtigen: Coca-Cola-Pavillon auf der Expo in Mailand. Rechts DR. WATSON-Redakteur Hans-Ulrich Grimm.
DR. WATSON

Zurück in die Zukunft – mit Big Food?

Weltausstellung der Ernährung: Expo im Ferrero-Land

Wer ernährt die Welt von morgen? Das fragt die Expo in Mailand, die Weltausstellung zum Thema Food. Und das frage ich mich natürlich auch. Deswegen bin ich hier. Gleich am Eingang steht eine Werbe-Installation von Ferrero. Coca-Cola hat einen eigenen Pavillon, ebenso wie McDonald’s, und Nestlé hat ein eigenes Revier im Pavillon der Schweiz. Die Zukunft der Welternährung – eine Veranstaltung der üblichen Verdächtigen?

Die Food-Konzerne haben hier bei der Weltausstellung offenbar den gleichen Status wie die Nationen, können sich in eigenen Pavillons präsentieren.

Coca-Cola hat einen, ganz in rot natürlich, vor dem in langen Schlangen die Kids warten, bis sie endlich reindürfen. Auch die Schweizer Schokofirma Lindt hat ihren Pavillon, wie auch die italienische Branchenschwester Baci.

Aber Coca-Cola ist sogar ein Partner der Weltausstellung, der „Offizielle Soft Drink Partner“.

Es gibt auch einen „Offiziellen Eiscreme Partner“: die italienische Langnese-Tochter Algida („Magnum“); die Expo kommt auf ihren offiziellen Seiten im Internet richtig ins Schwärmen, über diese Eisfirma und ihre Konzernmutter Unilever.

Angesichts solcher Partner erscheint mir natürlich die Frage der Welternährung in einem völlig neuen Licht. Insofern hat die Expo für mich da einiges an Überraschungen zu bieten.

Der Nahrungskonzern Nestlé darf seine Sicht der Dinge im Pavillon der Schweiz präsentieren, es geht um die neuesten Erkenntnisse aus der Food-Forschung, um die Mechanismen von Hunger und Sättigung, die ja durch industrielle Zutaten mächtig gestört werden, weshalb die Leute dick und dicker werden; aber das kommt jetzt hier nicht so vor.

Auch McDonald’s hat einen eigenen Pavillon, direkt an der langen Hauptstraße. Davor steht gerade ein Krankenwagen, aber das kann natürlich Zufall sein. Die Frage, wie gesund die Produkte der Expo-Partner sind, steht gleichwohl im Raum.

Sehr gesund, findet zum Beispiel China, das Mutterland der Lebensmittelskandale, und zeigt auf einer großen Videowand eine Dauer-Werbungsendung über 100% Orangensaft, und wie sauber es bei der Herstellung zugeht.

Die deutschen Nahrungskonzerne waren ein bisschen „angefressen“, wie die „Lebensmittelzeitung“ berichtete, weil sie nicht so schön Reklame machen durften wie die Kollegen aus den anderen Ländern.

Der deutsche Pavillon wirkt innen ein bisschen wie eine Raumstation, fensterlos, seltsame Objekte schweben an der Decke: Plastikfolien, Felsbrocken, manchmal sieht es auch aus wie frei schwebendes Gemüse.

Dazu eine wirre Geräuschkulisse. Manchmal brummt und pfeift es, als ob einer zufällig am Radioknopf gedreht hätte. Dann naht ein Zug von ferne. Plötzlich rauscht Wasser. Dann blubbert etwas.

Manches wirkt auf mich ein bisschen rätselhaft. In einer Ecke baumeln bunte Kunstwerke, manche sehen aus wie Steine, andere wie Brötchen, Erdnüsse, oder ein Propeller. Hat etwas zu tun mit Artenvielfalt („Biodiversität“), erläutert ein Schild, mit der Aufforderung: „Vielfalt entdecken“.

Im Kleingedruckten daneben an der Wand findet sich des Rätsels Lösung: Die baumelnden Objekte, es sind Samen! Calendula officinalis pape. Pisum sativum felicum. Solche Sachen.

Es waren hier nicht nur Designer und Künstler am Werk, sondern auch mehrere Universitäten und Forschungseinrichtungen, was offenbar zu einem informationellen Overkill geführt hat.

Offen bleibt, ob es da möglicherweise ein Problem gibt, mit Calendula oder Pisum, oder ganz generell mit den Grundlagen der Ernährung für diesen Planeten. Was fehlt, ist der Überblick, eine Bewertung, eine Haltung. Ob da jemand die zukünftigen Lebensgrundlagen zerstört, und wer das sein könnte, das zeigen sie hier leider nicht.

Vielleicht sind es ja die Traktoren aus dem Pavillon nebenan, der dem Agrargerätekonzern „New Holland“ gehört, der jetzt mit Fiat verbandelt ist, und es so auch zu einem eigenen Pavillon gebracht hat.

Bei den Amis ganz in der Nähe ist auch die Agro-Industrie mit von der Partie, dazu Big Food, und Big Chem, wie sie dort Chemiekonzerne wie Dow und Dupont nennen. Die sind ebenso Partner beim US-Pavillon wie die US-Exporteure von Reis, Getreide und Milchprodukten, Geflügel und Eiern, die Sojaproduzenten. Dazu eine Kuchen-und-Süßigkeitenvereinigung namens „Sweet Street“ (Slogan: „Making the World a Sweeter Place“: Macht die Welt ein bisschen süßer). Und: Pepsi Cola.

Auf der Expo im Ferreroland Italien ist natürlich der Nutellakonzern allgegenwärtig, mit Reklame-Installationen für die diversen Divisionen des Imperiums. So gibt ein eigenes Areal für das „Kinder“-Schokolade-Imperium: Dort bekommen die kleinen Dickerchen, die es hier auffallend häufig gibt, ein blaues Leibchen übergezogen, Aufschrift: „Kinder + Sport“ steht drauf, und: „Joy of Moving“. Die Freude an der Bewegung: Ferreros Kinderschokolade huldigt der Sport-macht-schlank-Lüge, unterstützt vom italienischen Bildungsministerium.

An diesem „Mythos von der Bewegung“ gibt es ja neuerdings aus der Wissenschaft unüberhörbare Kritik, jüngst etwa in einem britischen Fachjournal – das einen entsprechenden Artikel jüngst allerdings ganz schnell wieder entfernt hatte (siehe DR. WATSON NEWS vom 6.Mai.2015).

Für eine Firma wie Ferrero ist es geschäftsentscheidend, dass nicht ihre Produkte schuld sind an Fettpölsterchen und Folgekrankheiten, sondern die kleinen Dickerchen selber, die sich zu wenig bewegt haben. Wenn Wissenschaftler auf Risiken der industriellen Nahrung hinweisen würden, fürs Gewicht, für die Gesundheit, dann wäre das natürlich schädlich für die Bilanzen.

Für die Food-Industrie geht es um viel Geld, und entscheidend ist, welche Position die Wissenschaft einnimmt in dieser Frage - auf wen die Forscher mit Fingern zeigen, wenn es um die Schuldfrage geht. Und die Konzerne geben daher viel dafür, dass die Forscherfinger auf die faulen Moppel zeigen.

Big Food unternimmt deshalb einiges, die Forscher auf Linie zu bringen. Natürlich mit der gebotenen Diskretion.

Auch bei dieser Expo, im Rahmen einer Konferenz im Pavillon der Europäischen Union zu einem Projekt namens „EuroDISH“, bei dem es um Forschung zum Thema Nahrung und Gesundheit geht.

Ein wichtiges Thema. Aber im offiziellen Expo-Tagesprogramm wird diese Konferenz nicht erwähnt. Sogar an der Glastür zum EU-Pavillon, dem Ort der Veranstaltung, hängt nur ein DIN-A-4-Blatt mit der dürren Aufschrift „EuroDISH“.

Der Aufzug ist leider kaputt. Hinauf ins Obergeschoss steigen wir über eine Eisentreppe. Ein kleiner Konferenzraum. Vorne ein Podium, die Leinwand, der Beamer. Das übliche Konferenz-Szenario. Ein paar Stuhlreihen, laut Teilnehmerliste, die hier ausliegt, sind 68 Leute da.

Ein Vortrag ist grade zu Ende. Es meldet sich ein älterer Herr, weißes Haar, dunkles Sakko, graue Hose. „Überernährung“, meint er, das wäre eigentlich auch ein wichtiges Thema für diese Konferenz. Ich gebe ihm meine Visitenkarte, er gibt mir seine: Er ist ein Wissenschaftler aus Polen, Warschau, Dr. Lucjan Szponar.

Und er hat ja vollkommen recht, Übergewicht ist ein großes Problem. Der Herr aus Polen verweist auf die diesbezüglichen Prozesse im Gehirn. Die drohen ja heute bei vielen Menschen zu entgleisen – durch die industriellen Inhaltsstoffe.

Eigentlich ein interessantes Thema. Doch der Referent und die Tagungsleitung reagieren eher lustlos. Kritik an industriellen Dickmachern steht hier nicht auf der Tagesordnung.

Dabei ist EuroDISH ein Programm, das von den europäischen Steuerzahlern finanziert wird.

Mit dabei bei dem Projekt sind, neben diversen Universitäten, wieder die üblichen Verdächtigen aus Big Food: Coca-Cola, McDonald’s, Monsanto, Nestlé, Danone, Unilever, Ferrero und Red Bull, unter anderem.

Allerdings sind sie nicht gleich zu erkennen. Denn im EuroDISH „Konsortium“ sind sie vertreten über zwei ihrer wichtigsten Lobbytruppen: Ilsi („International Life Sciences Institute“) und Eufic („The European Food Information Council“).

Eufic klingt schwer amtlich, wird finanziert von den europäischen Steuerzahlern, betreibt sogenannte „Verbraucheraufklärung“, wird aber gesteuert von Big Food.

Ilsi betreibt Wissenschafts-Lobbyismus, versucht mit großem Erfolg, die Politik der Europäischen Union zu beeinflussen, indem die Forscher auf Industrie-Kurs gebracht werden. Die deutsche Bundesregierung wirkt bereitwillig mit, lässt etwa (siehe DR. WATSON NEWS vom 1. März 2012) ihren obersten Ernährungsforscher zugleich als Ilsi-Funktionär agieren: Professor Gerhard Rechkemmer, Präsident des Karlsruher Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel (Max Rubner Institut), zugleich Mitglied in der Ilsi-Leitung.

Kein Wunder, dass die Leute von „EuroDISH“, die sich da in Mailand bei der Expo versammelt haben, keine große Neigung verspüren, die Rolle der industriellen Nahrung bei der weltweiten Epidemie des Übergewichts zu ergründen.

Die Weltgemeinschaft trägt die Lasten, hat auch mit den Folgen, den sogenannten Zivilisationskrankheiten zu kämpfen. Ihre Institutionen, bei der Expo vertreten sind die Vereinten Nationen und die Welternährungsorganisation FAO, haben einen imposanten Riesen-Pavillon am Eingang postiert. Es sieht ein bisschen aus wie im Alten Rom, drinnen, eine Kreuzung aus Kolloseum und Kathedrale. Doch zur Erhellung der Problemlage trägt auch dieser „Pavilion Zero“ („Pavillon Null“) nicht viel bei.

Da geht es um die Geschichte der Nahrungsproduktion, die Verstädterung, die Verschwendung. In der riesigen Eingangshalle stapeln sich, kirchturmhoch, hölzerne Regalen, in denen vermutlich die Weisheiten für die Rettung die Welt gespeichert sind.

Der Name der Halle: Divinus halitus terrae. Es ist: Das Expo-Motto. Wer Latein kann, versteht das so ungefähr: Divinus ist das Göttliche, Halitus der Hauch, der Atem, Terra die Welt.

Auch das bleibt aber sehr im Diffusen.

Glücklicherweise hat das Göttliche ebenfalls einen eigenen Pavillon. Er ist strahlend weiß, und trägt die Aufschrift: Santa sede. Der Heilige Stuhl. Der Pavillon des Papstes. Und noch etwas steht dort auf der Wand, in vielen Sprachen: Not by bread alone. Non di solo pane. Nicht das Brot allein.

Es geht um mehr, in diesem Pavillon. Da geht es auch um das Böse, um Kriege und Ungerechtigkeit. Bereicherung und Spekulation. Hunger und Durst. Es laufen Videos aus Slums. Kinder füllen Wasserflaschen auf Schubkarren. Panzer werden gezeigt.

Gott sei Dank: Hier gibt es wenigstens Andeutungen darüber, dass bei der Frage nach der Zukunft der Welternährung auch Gewalt im Spiel ist, dass es Konfliktlinien gibt, und widerstreitende Interessen.

Auch auf der Expo, die dominiert wird von Big Food, gibt es die anderen, die Guten, sozusagen. Ganz zum Schluss, am Ende des großen Boulevards, steht der Pavillon von Slow Food, den Aktivisten für das gute Essen, mit einem Kräutergarten, mit Weinprobe, Käsehäppchen.

Das gibt also noch: Das gute Essen. Das echte Essen. Auch vom Gastgeberland Italien wird es präsentiert, unter dem modischen Titel Eataly. Alle Regionen haben kleine Stände, die von Köchen und Restaurants betrieben werden.

Am Stand der Lombardei gibt es Trota. Forelle. Mit rötlichen eingelegten Zwiebeln und kleinem Salat. Ich probiere: Es schmeckt wunderbar. Ebenso das Risotto mit Safran.

Am Stand der Toskana: Eine „vegane Suppe“. Klingt hip, ist aber eigentlich ein Klassiker, Minestra di Farro, aus dicken Bohnen, mit Olivenöl. Ein bisschen pampig. Aber immerhin mussten keine Tiere dafür leiden oder ihr Leben lassen.

Die Alternative am Stand: Tripa. Kutteln. Auch die repräsentieren ja einen Zukunftstrend: Wenn schon Tier, dann aber ganz genutzt. „From Nose to Tail“. Von der Schnauze bis zum Schwanz. Die Kutteln gibt es bei der Toskana-Fraktion mit Tomatensauce. Brot. Olivenöl.

Schmeckt prima.

Vielleicht ist das ja die Zukunft. Schön wär’s.


Mehr zur Verbrüderung zwischen Politik und Big Food:

Hans-Ulrich Grimm
Vom Verzehr wird abgeraten.
Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht.
Knaur Verlag 2013
320 Seiten Taschenbuch € 9,99
ISBN 978-3-426-78452-5


Mehr zu den Dickmachern in den Produkten von Big Food:

Hans-Ulrich Grimm
Die Kalorienlüge.
Wie uns die Nahrungsindustrie dick macht.
Knaur Verlag 2015
320 Seiten Taschenbuch € 9,99
ISBN 978-3-426-78698-7