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Süßstoffe

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt ausdrücklich vor zuckerfreien Süßstoffen. Sie hätten keine langfristigen Vorteile für die Figur und sogar „potenziell unerwünschte Auswirkungen“ auf die Gesundheit, so etwa ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar vorzeitiges Ableben. Dies gelte für alle Menschen mit Ausnahme von Diabetikern. Die Experten der Organisation hatten alle vorliegenden wissenschaftlichen Studien zu Risiken und Nebenwirkungen verschiedener Süßstoffe ausgewertet und neben Aspartam (E951) namentlich auch vor Acesulfam K (E950) gewarnt, vor Advantam (E969), Cyclamat (E952), Neotam (E961), Saccharin (E954), Stevia (E960) sowie Sucralose (E955).

 

Süßstoffe zählen zu den weitverbreiteten Zusätzen in der Nahrung – und zu den umstrittensten. Sie sollen schlank machen - aber in Wahrheit sind sie heimliche Dickmacher: Viele Kinder bekommen sie häufig. Oft werden sie sogar ärztlich empfohlen, weil sie den Zähnen weniger schaden als Zucker. Doch die Nebenwirkungen können erheblich sein. Sie stehen als Hirnschädlinge im Verdacht, sie können die hormonelle Nahrungsverarbeitung stören und das sogenannte metabolische Syndrom fördern. Offiziell gelten alle zugelassenen Süßstoffe natürlich als unbedenklich.

 

Süßstoffe sind zumeist Kunststoffe, reine Designerstoffe: Aspartam (E951) etwa wird heute nicht nur synthetisch, sondern auch biotechnologisch produziert. Mit Hilfe von Gentechnik manipulierte Kleinstlebewesen, wie etwa die normalerweise im Darm tätige Bazille Escherichia coli, produzieren die Grundstoffe Asparaginsäure und Phenylalanin.

 

Der vom deutschen Chemiker Karl Claus bei der Hoechst AG 1967 entdeckte Süßstoff Acesulfam K (E950) und das immerhin mit einem natürlichen Rohstoff synthetisierte Neohesperidin DC (E959) komplettieren das Arsenal der künstlichen Süßmacher in der Lebensmittelindustrie.

 

Auch andere Süßstoffe sind rein künstliche Produkte, die in den Labors der Chemieindustrie entstehen. Saccharin (E954) beispielsweise. Auch Cyclamat (E952) ist ein künstlicher, chemisch hergestellter Süßstoff.

 

Die Süßstoffe sind darauf angelegt, die natürlichen Abläufe im Gehirn zu stören und dort ein Süß-Signal auszulösen, das normalerweise auf süße Früchte hinweist – obwohl mit solchen gar nicht zu rechnen ist. Die Irreführung des Gehirns hat vielfältige Folgen, vor allem beim prominentesten und umstrittensten, dem Aspartam (E951).

 

Ein Überblick in der Zeitschrift Nutritional Neuroscience fasst die neurologischen Nebenwirkungen zusammen: „Mögliche neurophysiologische Symptome sind Lernprobleme, Kopfschmerzen, Krampfanfälle, Migräne, gereizte Stimmungen, Angstzustände, Depressionen und Schlaflosigkeit. (Neurophysiological symptoms and aspartame: What is the connection?).

 

Da die Süßstoffe auf eine Störung der natürlichen Abläufe abzielen, ist es nicht überraschend, dass sie auch zu „Störungen im Stoffwechsel“ beitragen können, die zu Fettleibigkeit, Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, wie eine spanische Überblicksstudie  feststellte.

 

Nach einer Untersuchung von Vasan Ramachandran von der medizinischen Fakultät der Universität Boston im US-Staat Massachusetts hatten die Leute, die mindestens einmal am Tag ein mit Süßstoff gesüßtes Getränk zu sich nahmen, die gleichen Risiken für Herzerkrankungen wie die anderen. Sie hatten auch ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, erhöhten Blutzucker und die »metabolischen Marker«, die die Eckdaten setzen für das metabolische Syndrom.

 

Süßstoffe können sogar zu vorzeitigem Ableben führen. Das zeigte  eine Studie der Biostatistikerin Annlia Paganini-Hill und ihren Kolleginnen Claudia H. Kawas und María M. Corrada von der University of California in Irvine. Die Versuchspersonen, die Cola light und ähnliche Produkte mit Süßstoff getrunken hatten, starben früher als die Classic-Coke-Fans.

 

Süßstoffe können auch das Risiko erhöhen für Schlaganfall und Demenz. Das ergab eine Studie von Wissenschaftlern um den Neurologen Matthew P. Pase im Fachmagazin Stroke. Sie hatten dafür 4372 Versuchspersonen aus der sogenannten Framingham-Studie beobachtet, der legendären Untersuchung aus dem kleinen Ort bei Boston. Ergebnis: Die Konsumenten von Cola light und Ähnlichem hatten ein dreimal so hohes Risiko für Alzheimer und Schlaganfall wie die anderen, die die Finger davon ließen.

 

Selbst bei ihrer vermeintlichen Kernkompetenz versagen die Süßstoffe. Denn sie machen nicht schlank – ganz im Gegenteil, so unter anderem eine kanadische Analyse: Der Verzehr von Süßstoffen sei nicht nur »mit einem Anstieg des Gewichts«, sondern auch »des Taillenumfangs« verbunden und überhaupt mit einer höheren Rate von »Fettleibigkeit«.

 

Und das war nicht das Ergebnis einer einzelnen Untersuchung, sondern das Fazit von insgesamt 37 Studien mit 405 907 Teilnehmern.

 

Es ging dabei um Stoffe wie Aspartam (E951), Sucralose  (E955) und auch Stevia (E960), der vermeintlich natürlichen Alternative, auf die zum Beispiel die Firma Coca-Cola große Hoffnungen gesetzt hatte.

 

Süßstoffe dienen sogar, ganz offiziell, als Masthilfsmittel – in der Tiermast. Saccharin beispielsweise ist in der EU-Futtermittelverordnung für die Ferkelfütterung zugelassen, unter der Rubrik »appetitanregende Stoffe«.

 

Dass Süßstoffe dick machen, haben viele Tierversuche gezeigt, etwa von den Herstellern solcher Zusätze. Dass die kalorienreduzierten Erzeugnisse auch bei Menschen nicht viel helfen, beweisen im Großversuch die Amerikaner.

 

Die US-amerikanische Krebsgesellschaft beispielsweise hat bei einer Untersuchung von 80 000 Frauen herausgefunden, dass jene Damen, die Süßstoff nahmen, stärker zugelegt hatten als jene, die Zucker bevorzugten. 

 

Eine Untersuchung der Purdue-Universität in der Stadt West Lafayette im US-Bundesstaat Indiana ergab, dass der Süßstoff Saccharin die körpereigenen Systeme zur Nahrungsverwertung irritiert und zu erhöhter Kalorienzufuhr führen kann.

 

Die untersuchten Ratten legten dabei an Körpergewicht zu. Sie hatten zum Frühstück Joghurt bekommen, die eine Gruppe mit Glukose, die andere mit Saccharin. Die Folge war: Im weiteren Tagesverlauf aß die Süßstoff-Fraktion mehr als die Zuckergruppe. Das könnte erklären, warum Süßstoff dick macht: weil er die Abläufe im Körper stört, die Nahrungsaufnahme und Gewichtskontrolle regeln – und zwar noch stärker als der Zucker.

 

Der Geschmack scheint dabei eine zentrale Rolle zu spielen. In einem berühmten Experiment tranken die Versuchsteilnehmer entweder reines oder mit Süßstoffen versetztes Wasser. Die Probanden mit dem gesüßten Wasser berichteten öfter über Hunger. Die Erklärung: Der Körper schüttet, wie bei zuckersüßen Speisen, mehr Insulin aus, das senkt den Blutzuckerspiegel ab – der aber wegen des fehlenden Zuckers gar nicht erhöht war. Der Körper reagiert auf die Unterzuckerung mit starkem Hunger.

 

Auch eine Studie der Washington University  ergab: Der Süßstoff Sucralose ließ überraschenderweise den Insulinspiegel ansteigen. Studienleiterin Professor Yanina Pepino sagt: »Unsere Ergebnisse zeigen, dass künstliche Süßstoffe nicht wirkungslos sind – sie haben einen Effekt.«

 

Das bedeutet: Es ist der Geschmack, der die Körperreaktionen steuert. Wenn Süßstoffe kommen, kommt nur der süße Geschmack. Es ist nichts zu verarbeiten. Kein Zucker in die Zellen zu schaffen. Insulin wird dennoch ausgestoßen. Es sorgt dann dafür, dass die Menschen – und Tiere – auch bei Süßstoffen zunehmen. Und das Insulin spielt dabei eine zentrale Rolle – es gilt ja als »Masthormon«.

 

Immer wieder waren auch Entlastungsstudien nötig, weil Krebsverdacht aufkam. Bei Acesulfam K (E950) beispielsweise berichtete die industriekritische US-amerikanische Wissenschaftsorganisation Center for Science in the Public Interest (CSPI) über erbgutschädigende Wirkungen, die sich allerdings in anderen Untersuchungen nicht bestätigten. Cyclamat (E952) verschwand zeitweilig in den USA vom Markt, wurde 1969 dort verboten. Doch der Verdacht, Blasenkrebs zu erzeugen, gilt mittlerweile als widerlegt.

 

Auch beim ältesten Süßstoff Saccharin (E954) gab es Krebsverdacht. In Kanada wurde der Stoff 1977 verboten, zugleich durfte er in den USA nur mit Warnhinweisen verkauft werden. Saccharin hatte in großen Mengen bei Ratten Blasenkrebs verursacht, nach neueren Einschätzungen bestehe die Gefahr beim Menschen indessen nicht.

 

Auch bei Aspartam förderten Forscher immer neue Belege zutage für Krebsgefahren: Leukämie, Lungenkrebs, Lymphknotenkrebs, Leberkrebs. Und das teilweise bereits bei einer täglichen Dosis von 20 Milligramm Aspartam pro Kilogramm Körpergewicht – der Hälfte des in Europa gültigen Grenzwertes. Doch die Aufsichtsbehörden sahen diese Gefahren nicht, weder in Amerika noch in Europa.  

 

Zuletzt hatte es auch noch Hinweise auf Frühgeburten gegeben und ein erhöhtes Krankheitsrisiko für Babys, wenn die Schwangeren Aspartam zu sich nehmen.

 

Die Probleme können sogar vererbt werden: Wenn Frauen während der Schwangerschaft Süßstoffe zu sich nehmen, könne das zu Störungen der Hirnaktivitäten bei den Nachkommen führen.

 

Bei Meerschweinchen hatten die Nachkommen Probleme mit dem Geruchssinn, bei Rattenkindern kam es zu einer „Beeinträchtigung der kognitiven Leistung“, wie eine Studie feststellte, kleine Zebrafische konnten nicht mehr richtig schwimmen.

 

„Die Verwendung von Aspartam während der Schwangerschaft kann von Nachteil sein für den Fötus“, warnten brasilianische Wissenschaftler.

 

Sie rieten den werdenden Müttern von Süßstoffverzehr ab: „Während der Schwangerschaft sollte der Konsum von aspartamhaltigen Produkten vermieden werden.“ Die Forscher um Professor Reinaldo Azoubel regten zudem an, auf den Produkten mit Aspartam, ähnlich wie bei Medikamenten, Hinweise auf Risiken während der Schwangerschaft anzubringen.

 

Neuere Untersuchungen erweiterten das Verdachtsfeld: So kam eine kanadische Studie von 2020 zu dem Schluss, dass die Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Cola light und ähnliche Soft Drinks zu sich genommen hatten, auf Übergewicht und mehr Fettzellen „programmiert“ werden. Ursache: Die Effekte auf die hormonelle Steuerung im Gehirn.

 

Viele Effekte der Süßstoffe hängen womöglich mit ihren Wirkungen im Darm zusammen, dem „Zweiten Gehirn“. Sucralose (E955), Aspartam (E951), Neotam (E961) können offenbar die Verhältnisse im Darm stören, ebenso Saccharin (E954),

 

Es gab auch Studien, die keinen Zusammenhang zwischen Süßstoffen und Gewichtszunahme festgestellt haben. Aber viele davon waren von der Industrie gesponsert.

 

So gibt es nur noch wenige, die sich trotz des ramponierten Rufs auf die Seite der Süßstoffe stellen möchten. Zu den letzten Getreuen gehört die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): „Gefahren lauern nicht“, glaubt diese. Süßstoffe könnten zum Abnehmen „durchaus sinnvoll“ sein.