Bisphenol A (BPA) ist eine weitverbreitete Chemikalie, die sich in vielen Lebensmittelverpackungen findet. Der Stoff zählt zu den sogenannten Plastikhormonen und kann im Körper wie ein weibliches Geschlechtshormon wirken. Er beeinflusst dadurch die Geschlechtsentwicklung und Fortpflanzungsfähigkeit. Außerdem steht er als Dickmacher im Verdacht. In einigen amerikanischen Städten und Bundesstaaten wird BPA als »gefährliche Substanz« eingestuft, die Verwendung eingeschränkt.
Im April 2023 verschärfte auch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (Efsa) ihre Vorgaben, verringerte nach einer umfassenden Neubewertung die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) von 4000 Nanogramm (Milliardstel Gramm) auf 0,2 Nanogramm pro Kilo Körpergewicht am Tag, also um das 20.000fache. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) findet das übertrieben, hält 200 Nanogramm für angemessen.
Für Babyfläschchen ist der Stoff in der Europäischen Union seit 2011 verboten.
Bisphenol A wird häufig als »Weichmacher« bezeichnet und wirkt in Organismen als Hormonstörer (im Experten-Jargon: »Endocrine disruptor«). Es greift in die Sexualentwicklung ein, wirkt sich auch auf Gehirn und Verhalten aus. Es kann auch die Bildung von Fettzellen beschleunigen und zu Übergewicht führen. Besonders bedenklich ist es für Föten, Babys und Kleinkinder, die in der Wachstumsphase relativ gesehen täglich mehr Nahrung und damit mehr Giftstoffe aufnehmen.
Weltweit werden jährlich zehn Millionen Tonnen eingesetzt, hergestellt unter anderem vom deutschen Chemie-Giganten Bayer und dem US-Multi Dow Chemical.
Bei einer Untersuchung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Jahr 2017 waren 14 von 26 Konservendosen aus dem Sortiment von Rewe, Lidl, Aldi, Netto, Penny und Edeka belastet, der niedrigste Werte lag bei 7, der höchste bei 510 Mikrogramm pro Kilogramm.
Untersucht worden waren Büchsen mit Thunfisch, geschälten und gestückelten Tomaten, Kokosnussmilch, auch Gemüsemais und Sauerkraut. Bei Thunfisch, Tomaten und Kokosnussmilch war in drei von vier Dosen das Plastikhormon nachgewiesen worden, bei Sauerkraut war eine von drei, bei Gemüsemais eine von vier Proben mit BPA belastet.
Anfang Oktober 2009 hatte die Organisation Global 2000 die hormonwirksame Substanz in allen zehn durch ein Testlabor geprüften Babyschnullern nachgewiesen. Die Substanz wurde daraufhin für solche Produkte verboten – aber auch anschließend noch vereinzelt nachgewiesen. Seit 2020 hat die Europäische Union die Problemsubstanz für die Bons an den Kassen in Supermärkten verboten, nicht aber für die Lebensmittelprodukte, die dort bezahlt werden.
Eine französische Studie kam 2017 nach Durchsicht der weltweit vorliegenden Daten zu dem Schluss, dass der Stoff als Dickmacher(„obesogen“) einzustufen sei: „Der Kontakt mit BPA während aller Lebensphasen korreliert mit einem erhöhten Körpergewicht“. Vor allem zu Beginn des Lebens, sogar schon vor der Geburt, scheine es „kritische Zeitfenster“ zu geben mit „erhöhter Empfindlichkeit“ für Schäden durch BPA.
Bisphenol A kann sogar, wie der US-Hormonforscher Frederick vom Saal herausfand, die Nahrungsaufnahme der Menschen schon vor der Geburt komplett umprogrammieren. Frauen mit hohen Bisphenolkonzentrationen im Blut seien im Schnitt schwerer als Frauen mit niedrigen Werten. Kinder von stark BPA-belasteten Frauen werden dicker als die von unbelasteten Müttern.
Im Juni 2009 zeigte eine Studie der Universität des US-Staates North Carolina und der British Columbia’s Simon Fraser Universität (SFU) im kanadischen Vancouver, dass zweijährige Mädchen aggressiver und hyperaktiver waren, wenn ihre Mütter während der Schwangerschaft mehr BPA aufgenommen hatten.
Bisphenol A kann nicht nur die Produktion der Geschlechtshormone beeinflussen, sondern im Beisein von Insulin auch die Produktion von Fettzellen beschleunigen.
Die chemische Industrie hält die Chemikalie für harmlos; sie hat eigens eine wissenschaftliche »Task-Force« eingesetzt, die dies nachweisen soll. Die Chemie-Konzerne haben daran ein großes geschäftliches Interesse, allen voran der deutsche Marktführer bei BPA, der Leverkusener Bayer-Konzern.
Auch in Wissenschaftlerkreisen ist die Bewertung umstritten. Schon im Jahre 2009 hatten 33 US-amerikanische BPA-Experten verkündet, neuerliche Bewertungen durch die amerikanische Regierung seien »Zeitverschwendung«. Die Chemikalie sei »gut erforscht«.
Den obersten Behörden für Nahrungssicherheit in Deutschland und der Europäischen Union galt Bisphenol A lange als harmlos. »Die Substanz hat eine geringe akute Giftigkeit«, urteilte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die höchste deutsche Behörde zur Beurteilung von Lebensmittel-Risiken, in einer Stellungnahme im Oktober 2020.
Auch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa sah lange kein übermäßiges Risiko für die menschliche Gesundheit durch den Konsum aus belasteten Behältnissen wie etwa Konservendosen, hatte sich dabei auf Untersuchungen gestützt, die von der Plastikindustrie gesponsert waren.
Im Jahr 2023 allerdings verschärfte die EU-Behörde allerdings ihre Grenzwerte. Die seither geltenden maximal 0,2 Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Kilo Körpergewicht am Tag findet die deutsche Behörde allerdings zu streng: selbst die 1000fache Menge sei noch unproblematisch, und setzt ihrerseits 200 Nanogramm als täglich tolerierbar an.
Die dadurch entstandenen Differenzen zwischen deutscher und europäischer Gefahreneinschätzung stören die Berliner Behörde nicht weiter.
Solche Unstimmigkeiten seien „Teil des normalen wissenschaftlichen Prozesses“, trügen „zur Weiterentwicklung von Risikobewertungsmethoden und damit langfristig zu einer besseren Einschätzung möglicher Gesundheitsrisiken bei.“