Kühe fressen von Natur aus Gras. Das gilt als wesentliche Voraussetzung für gesunde Milch und Milchprodukte. Moderne Hochleistungskühe dürfen indessen nicht grasen. Sie erhalten stattdessen einen ausgeklügelten Kraftfuttermix aus Getreidebestandteilen, Aroma und diversen anderen Chemikalien. Damit wird die Leistung und mithin der Gewinn für den Viehhalter erhöht, nicht aber der gesundheitliche Wert von Milch und Fleisch. Zudem wächst das Risiko, dass gefährliche Krankheitserreger, wie etwa die EHEC-Bakterien, sich ausbreiten.
Neuerdings gewinnt Grasfütterung wieder mehr an Bedeutung, auch weil Verbraucher aufgrund der gesundheitlichen Vorzüge bereit sind, dafür mehr zu bezahlen. Dass Grasfütterung den Anteil wertvollem Fett, wie etwa der Omega-3-Fette, oder von CLA erhöht, ergaben diverse Studien.
Das Thema in der Fachwelt publik gemacht hatte eine Ärztin aus dem schweizerischen Gstaad: Christa Hauswirth. Sie hatte in der Zeitschrift Circulation, dem renommierten Organ der American Heart Association, einen Aufsatz publiziert. Titel: »Ist Schweizer Alpenkäse Functional Food?« Ergebnis: Käse ist Functional Food, wenn er von Kühen stammt, die artgerecht ernährt werden.
Doch auch Milch und Käse aus dem Tal könnten mehr von feinen Omega-3-Fette enthalten, wenn sie mit Gras gefüttert werden.
Und gerade auf der Alm lebt die Kuh auch nicht unbedingt von dem Gras vor der Hütte: Als das österreichische Lehr- und Forschungszentrum für Landwirtschaft im Raumberg-Gumpenstein in der Steiermark Milchproben untersuchte, stellte sich heraus, dass ausgerechnet die Milch von den Almen weniger Omega-3-Fette enthielt – „was hauptsächlich auf die auf den untersuchten Almen eingesetzten Kraftfuttergaben zurückzuführen sein dürfte“.
Die spinnen, die Österreicher, könnte man sagen – aber die Schwarzwälder sind auch nicht besser. Auch dort gibt es immer weniger Kühe auf der Weide. Sogar in Argentinien wird immer mehr Pampa in Ackerland umgewandelt, und die Rinder stehen nicht mehr auf der Weide, sondern werden in Fütterungszentren abgefertigt, sogenannten Feedlots, Auch aus den USA, Australien, Kanada, Neuseeland und Uruguay kommt Fleisch von Feedlot-Tieren nach Europa.
Die Rinder mit Gras zu füttern gilt in der Branche als unwirtschaftlich. Mit den Getreide-Kraftfutter-Mischungen geben sie mehr Milch und gelangen schneller zu ihrem Schlachtgewicht. Damit die Rinder die artwidrigen Mischungen fressen, kommt Aroma zum Einsatz. Manche Aromen gaukeln dem Tier dabei vor, es fräße leckeres, artgerechtes Futter. Ein Geschmackszusatz namens HerbaromL für Rinder etwa vermittelt nach Herstellerangaben »den typischen Geruch von frischem Heu einer Kräuterwiese«.
Die artgerechte Fütterung mit Gras wäre auch eine natürliche Begrenzung der Zahl der Rinder: Mittlerweile leben 1,5 Milliarden Rinder auf dem Globus; sie gelten als ernst zu nehmende Belastung für das Weltklima. Insgesamt stoßen Rinder allein in Deutschland jährlich 500 000 Tonnen des Treibhausgases Methan aus, bis zu 250 Liter pro Tag und pro Rind. Wissenschaftler in aller Welt versuchen, das Kuhmethan durch Bakterien-Impfungen oder spezielles Futter zu reduzieren.
Sinnvoller wäre es, den Kühen das artgerechte Gras zu gönnen. Ein Kilo Fleisch zu produzieren verursacht 36 Kilo Kohlendioxid – so viel wie eine 250 Kilometer lange Autofahrt. Aber nur, wenn die Kühe Kraftfutter statt Gras bekommen, Mais zum Beispiel: Denn das ist der wahre Klimakiller, denn er wird kräftig gedüngt, mit Stickstoff, der wiederum umgewandelt wird in Distickstoffmonoxid (N₂O), besser bekannt als Lachgas - und davon gehen die höchsten Agrar-Emissionen aus, sie sind zudem 295mal schädlicher als Kohlendioxid.
Ganz anders sieht es aus, wenn die Kuh auf der Weide steht. Dann fällt der Mais als Klimaschädling schon mal weg, und der Grasboden speichert sogar das Kohlendioxid – stolze 1,8 Tonnen pro Tonne Humus.
Deshalb spricht die Tierärztin und Buchautorin Anita Idel („Die Kuh ist kein Klimakiller“) die Kuh frei von dem Vorwurf, der gegen sie erhoben wird: Klimakiller ist nicht die Kuh, sondern die industrielle Art der Rinderhaltung: „Das agroindustrielle System heizt den Klimawandel an und erhöht dadurch das Risiko für die Welternährung dramatisch.“
Für die artgerechte Grasfütterung aber steht ein riesiges Reservoir zur Verfügung: Grünland, inklusive Steppe und Pampa, bedeckt etwa 40 Prozent der weltweiten Landfläche, und sogar 70 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche sind Weiden – von denen der Mensch, ohne Kühe und andere Wiederkäuer, gar nichts hätte: „Rinder auf der Weide sind keine Nahrungskonkurrenten des Menschen. Wir selbst müssten angesichts auch der üppigsten Gräser jämmerlich verhungern, weil wir sie nicht verdauen können,“ sagt die Tierärztin Idel.