Ozempic ist das bekannteste einer Reihe von Medikamenten, die vor allem wegen ihrer Effekte auf das Körpergewicht berühmt wurden. Der Traum vom Abnehmen allerdings kann damit auch zum Alptraum werden. Nach Studien lag der Abnehm-Effekt bei etwa 15 Prozent, bei manchen Versuchspersonen über 20 Prozent. Die Drogen müssen lebenslang eingenommen werden. Viele Mediziner sind begeistert, bei näherem Hinsehen vor allem solche mit Verbindungen zu Herstellerkonzernen. Unabhängige Forscher sind skeptischer, bemängeln vor allem die Kosten-Nutzen-Relation. Denn die Produkte sind sehr teuer, helfen nur eingeschränkt, nicht bei allen – und das bei teilweise erheblichen Nebenwirkungen.
Einfach ein Pieks, oder auch eine Pille, und die Pfunde purzeln: Das war für viele ein Traum. Für viele, die gern schlanker wären. Und für die Pharmafirmen, die gern noch reicher wären.
Für die Hersteller sind die Produkte eine wahre Goldgrube, schließlich soll in Deutschland jeder zweite zu dick sein, in den USA sogar drei von vier Leuten. Kritiker befürchten angesichts des großen Marktes und der hohen Preise der Produkte den Kollaps der Krankenkassen, wenn sie die Kosten übernehmen müssen. Zugelassen sind die Produkte bei Diabetes Typ 2, aber auch Adipositas. Sie sollen aber auch gegen andere Leiden helfen, insgesamt 42 Krankheiten, die oft mit Übergewicht einhergehen.
Das bekannteste der neuen Medikamente ist Ozempic. Der dänische Herstellerkonzern Novo Nordisk gilt mittlerweile als wertvollstes Unternehmen Europas, und verdankt seine Stellung natürlich auch diesen Produkten, zu denen auch das Präparat namens Wegovy zählt.
Weitere Produkte von anderen Herstellern werden unter Bezeichnungen wie Mounjaro verkauft, Victoza, Saxenda oder Xultophy, des weiteren Rybelsus, Bydureon, Byetta, Trulicity, Lyxumia sowie Suliqua.
All diese Produkte zielen auf das Sättigungssystem im Organismus. Sie wirken dabei wie ein körpereigenes Hormon mit dem Kürzel GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1). Rezeptoren dafür gibt es überall im Körper, besonders konzentriert offenbar im Gehirn.
Während der natürliche Signalstoff allerdings nur ein bis zwei Minuten hält, schaffen es die synthetischen Schöpfungen der Pharmakonzerne bis zu einer Woche.
Das hat dramatische Folgen. Manche sind sichtbar, auf der Waage zum Beispiel, wenn die Pfunde purzeln. Oder wenn die Haut plötzlich schlaff wird („Ozempic-Gesicht“).
In den Medien ging es zunächst vor allem um solche Nebenwirkungen auch um Befindlichkeitsprobleme, Übelkeit, beispielsweise.
Bald wurde allerdings deutlich, dass das gesamte Verdauungssystem betroffen ist. Betroffene klagten zum Beispiel über chronischen Durchfall – und gegen den Hersteller. Auch Krampfanfälle sind möglich.
Für Bedenken sorgt in Medizinerkreisen, dass die Medikamente in einem ganz zentralen Bereich des Gehirns wirken, einer der ältesten Regionen des Gehirns, dem sogenannten Belohnungszentrum, im Bereich einer Zone namens Nucleus accumbens.
Es ist von fundamentaler Bedeutung für die Menschheit, soll dafür sorgen, dass existenzerhaltende Maßnahmen wie Ernährung und Fortpflanzung den Menschen auch Freude machen.
Ozempic & Co wirken dabei gewissermaßen als Spaßbremse.
Folge: Die Lust leidet. Auf den sozialen Netzwerken häuften sich Beiträge zu mangelnder Sexlust und Potenzstörungen. Im Beipackzettel für solche Produkte wird darauf hingewiesen, dass sexuelle Funktionsstörungen auftreten könnten. Laut einer Studie taucht das Problem bei einem von 75 Männern auf, die das Medikament einnehmen.
Und manche verlieren auch gleich die Lust am Leben. Medizinische Fachjournale veröffentlichen Fallberichte über Ozempic-Depressionen. Bei den zuständigen Behörden in den USA und Europa gingen hunderte von Berichten ein über Selbstverletzung, Selbstmordgedanken oder sogar suizidales Verhalten. Die amtlichen Prüfungen allerdings ergaben „keinen kausalen Zusammenhang“ mit den betreffenden Drogen; sie könnten sogar die Stimmung aufhellen, wenn die Pfunde purzeln.
Doch die Debatte wird schärfer. Die „dunkle Seite“ von Ozempic & Co sollte angesichts der massenhaften Anwendung ernster genommen werden, warnen Mediziner, angesichts auch schwerwiegender Probleme wie Magenlähmung, Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis) und Darmverschluss.
Das renommierte britische Medizinerfachblatt The Lancet sieht „Anlass zur Sorge“, verwies sogar auf Todesfälle, bei denen die Abnehmprodukte im Verdacht stehen. Es gilt für sie natürlich wie stets die Unschuldsvermutung – wobei in einem Fall das Abnehm-Medikament sogar im offiziellen Totenschein erwähnt wurde.
Das reale Ausmaß der möglichen Nebenwirkungen ist noch gar nicht abzusehen. Denn der genaue Wirkmechanismus der Drogen ist selbst den Fachleuten unbekannt, die an der Entwicklung mitgewirkt haben.
Sogar jene Frau, die von den Medien als die „Mutter der Abnehmspritze“ gefeiert wird, gesteht, dass die Mechanismen noch nicht im Detail geklärt sind. Die Biochemikerin Svetlana Mojsov von der New Yorker Rockefeller University, die mit ihrer Forschung in den 1980er Jahren die Basis bereitet hat für die Entwicklung der Medikamente, sagt ganz offen: „Die nächste Herausforderung besteht darin, die Biologie hinter den Auswirkungen von Ozempic auf das Gehirn zu verstehen“.
Es ist gewissermaßen ein Menschheitsexperiment mit ungewissem Ausgang.