Probiotika zählen zu den erfolgreichsten Innovationen auf dem Nahrungsmarkt. Als Probiotika werden lebende Bakterien bezeichnet (etwa verschiedene Lactobazillen und Bifidobakterien), die als medizinisches Präparat oder mit einem Lebensmittel aufgenommen werden und die Gesundheit positiv beeinflussen sollen. Der eigentliche Wirkort der Probiotika ist der Darm, in dem sie die Ansiedlung schädlicher Bakterien unterdrücken und von wo aus sie die körpereigene Abwehr steigern sollen. Allerdings ist es in Fachkreisen umstritten, ob sie sich dort unter den Billionen anderer Mikroben überhaupt durchsetzen können - und auch noch in positiver Weise. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa jdenfalls hat alle 300 eingereichten Anträge zur Zulassung gesundheitsbezogener Werbung für probiotische Joghurts abgelehnt.
Auf dem Markt sind zumeist probiotische Joghurts, aber auch andere Milchprodukte, Säuglingsnahrung und sogar Wurst. Die Kunden vertrauen den Konzernen und zahlen erhebliche Aufpreise für die verstärkten Produkte.
In der Tiermast werden sie vor allem als Masthilfsmittel eingesetzt, bei den Produkten für die Menschen wurde dieser Aspekt bislang nicht diskutiert.
Joghurt als solcher ist nachweislich gesund. Er soll vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen, vor Typ-2-Diabetes und sogar bestimmten Krebsarten. Außerdem soll er die Stimmung heben, und womöglich sogar das Leben verlängern.
Umstritten ist, ob sogenannte „probiotische“ Joghurts, die neben den üblichen Bakterien noch spezielle Kleinstlebewesen aus den Laboren der Konzerne enthalten, ein Plus an Gesundheitseffekt bieten.
In den USA wurden schon Food-Konzerne verklagt wegen irreführender Werbung. In einem Vergleich, in dem es um den „Activia“-Joghurt ging, zahlte Hersteller Danone 21 Millionen Dollar, um die Lage zu befrieden, stand aber weiter zu seinem Produkt und bestritt jegliches Fehlverhalten.
In Österreich, immerhin, hatte der Konzern gewonnen, gegen die Konkurrenz, die behauptet hatte: »Jedes Joghurt stärkt Ihre Abwehrkräfte«. Das empfand Danone als Affront, schließlich wirbt sie mit dem Slogan »Actimel activiert Abwehrkräfte«.
Unabhängige Wissenschaftler sind den Versprechen gegenüber seit langem skeptisch und verweisen auf – in seltenen Fällen sogar tödliche – Nebenwirkungen von Extra-Bakterien. Es fehle immer noch an sicherem Wissen über die Vorgänge im Darm.
Dänische Forscher fanden beispielsweise heraus, dass sogenannte Bifidobakterien nur so lange wirken, wie sie von außen zugeführt werden. Kommt kein Joghurt, sind sie wieder weg. Zudem haben es die Industrie-Bazillen nicht leicht, sich im Gefüge der Bakterien im Darm durchzusetzen und ihre segensreiche Wirkung zu entfalten.
So hat der Schweizerische Wissenschaftsrat schon früh in einer Studie zu Functional-Food darauf hingewiesen, dass gerade bei den »probiotischen« Joghurts und Milchdrinks »große Kenntnislücken über die Mechanismen« bestehen. Viele von den Herstellern finanzierte Studien wiesen »methodische Schwächen« auf, die ihre Aussagekraft einschränkten. Zudem könnten die angeblich gesunden Bakterien im Joghurt »unkontrollierte Entzündungsreaktionen« auslösen.
Gerade die Verabreichung von Bakterien an kleine Kinder ist sehr umstritten. Weil das Zusammenwirken der 500 verschiedenen Bakterienarten im Darm und die mögliche Verwandlung von »guten« Bakterien in »böse« Krankheitserreger von den Forschern noch nicht zufriedenstellend geklärt sind, raten manche Experten zur Vorsicht.
Denn bei einer Untersuchung mit neugeborenen Mäusen, an die Bakterien vom Typ Lactobacillus rhamnosus GG verfüttert wurden, waren unerwartet viele Todesfälle aufgetreten. Auch bei Menschen kommen Schäden vor. Bei einer älteren Finnin lösten die gleichen probiotischen Bakterien einen Leberabszess aus.
Die Zeitschrift Clinical Microbiologiy and Infection hatte, nachdem die ersten Berichte über Entzündungen der Herzinnenhaut (Endokarditis) erschienen waren, sogar vorgeschlagen, Warnhinweise auf probiotischen Erzeugnissen anzubringen, die Bakterien vom Typ Lactobacillus rhamnosus enthalten, um Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist oder die einen entsprechenden Herzfehler haben, auf die möglichen negativen Folgen aufmerksam zu machen.