Sie machen die Nahrungsmittel billiger - aber im Ganzen nicht unbedingt besser. Für die allermeisten Menschen in den Industriestaaten ist der Supermarkt die übliche Einkaufsstätte. Die großen Handelskonzerne liefern den Großteil der Nahrung – und entscheiden damit, welche Nahrungsmittel in die Nahrungskette gelangen und welche nicht. Natürlich muss alles in Massen verfügbar sein. Die wichtigsten Kriterien sind dabei Haltbarkeit und Preis: Die Nahrungsmittel müssen im Laden möglichst lange verkäuflich (Shelf Life) und billig sein. Diese Kriterien haben schwerwiegende Folgen für die Qualität der Nahrung: So wird Massenproduktion, auch Massentierhaltung gefördert, wertvolle Inhaltsstoffe werden durch weniger wertvolle ersetzt, durch chemische Zusatzstoffe ergänzt. Das Supermarktsystem verbreitet sich rund um den Globus, und zugleich die Krankheiten, die durch industrielle Ernährungssysteme gefördert werden.
Die vier größten Supermarktketten Deutschlands (Edeka, Rewe, Aldi, Lidl) verkaufen über 85 Prozent der Nahrungsmittel in Deutschland. In Österreich kommen die größten drei Konzerne Rewe, Spar, Hofer auf 87 Prozent. In der Schweiz erreichen Migros und Coop zusammen knapp 70 Prozent.
In vielen Regionen der Welt werden die Menschen noch auf herkömmlichen Märkten mit echter Nahrung versorgt: Melonen, Paprika, Tomaten, Kartoffeln. Selbst die Milliardenbevölkerung Chinas wird weithin noch auf diese traditionelle Weise mit Lebensmitteln beliefert. Dort wie in vielen Weltgegenden verdrängen indes die Supermärkte die herkömmlichen Versorgungsstrukturen.
Die Transformation schreitet schnell voran: In weniger als 20 Jahren sind in Lateinamerika und Südostasien die Umsätze der Supermärkte von fünf auf 50 Prozent aller Einzelhandelsumsätze gestiegen. Das stärkste Wachstum im Lebensmitteleinzelhandel gibt es derzeit in Ländern wie Indien, Indonesien und Nigeria.
Je weiter sich aber die Supermärkte ausbreiten, desto problematischer wird es für die örtlichen Bauern – und damit für die Versorgung mit Gesundem.
Denn die großen Handelsketten brauchen ja große Mengen, und die können kleine Landwirte nicht liefern. Die werden zwar anfangs noch einbezogen, doch nach und nach werden sie durch Lieferungen größerer Farmen ersetzt, auch aus dem Ausland, und schließlich treten an die Stelle echter Lebensmittel die ultraverarbeiteten Produkte der Konzerne – Fast Food, Fertignahrung wie etwa Instantnudeln, Softdrinks, Nuss-Nougat-Cremes, Kartoffelchips.
Und nach und nach zeigt sich das an der Figur der Kunden – und an ihrer Gesundheit.
Internationale Experten sehen dieses Vordringen der Supermärkte mit Sorge. Denn die damit einhergehende Verbreitung von Zivilisationskrankheiten (Nutrition Transition), wie Herzleiden, Krebs oder der Zuckerkrankheit Diabetes, gefährdet die Arbeitskraft der Menschen sowie die labilen Sozialsysteme dieser Länder.
So neigen offenbar kenianische Supermarktkunden eher zu Übergewicht und Diabetes als ihre Landsleute, die sich traditionell versorgen, wie Agrarökonomen der Universität Göttingen um Martin Quaim und Kathrin M. Demmler in einer Studie herausgefunden haben. Ihr Fazit: »Supermärkte und ihre Verkaufsstrategien für Lebensmittel scheinen direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen zu haben.«
Dazu gehört die »Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit«, aber auch die Ausbreitung der nicht übertragbaren Krankheiten wie Herzleiden, Krebs oder Diabetes. Die »Auswirkungen von Supermärkten auf Ernährung und Gesundheit«, sagen die Göttinger Forscher, sind »hauptsächlich auf Veränderungen in der Zusammensetzung der Lebensmittelauswahl der Menschen zurückzuführen«.
Das bedeutet: Erst ist ein neues, ungesünderes Angebot da, und dann greifen die Leute zu.
Einerseits hat die »Supermarkt-Revolution« natürlich auch Vorteile, das räumen selbst Kritiker ein wie der US-Nahrungsforscher Barry Popkin. Sie führen zu erhöhter »Lebensmittelsicherheit« – jedenfalls im herkömmlichen Verständnis, beschränkt auf Viren, Bakterien, Schadstoffe.
Doch weit mehr wird die Weltgesundheit heute bedroht durch die nicht übertragbaren Krankheiten, und genau diese werden durch die Supermärkte gefördert, weil sie die »Aufnahme von verarbeiteten, minderwertigen Lebensmitteln erhöhen«, wie auch die Forscher der NOVA-Gruppe befürchten, die einen neuen Begriff von Lebensmittelsicherheit fordern, und ein neues Bewertungssystem entwickelt haben, die NOVA-Klassifikation für Lebensmittel.