Gesundheit aus der Plastikwelt? Ich bin eher für ehrliches Essen.
Jetzt mal ehrlich, so langsam nerven mich diese neuen Gesundheitsprodukte. Erst waren es nur Säfte mit Vitaminen, Joghurts mit einer Extraportion Bakterien, dieser ganze Actimel-Kram. Inzwischen sollen uns sogar Schokoriegel, Hamburger und Bier mit speziellen Gesundheitsstoffen versorgen. Der letzte Schrei sind jetzt Hormon-Kaugummis zum Abnehmen. Toll, dieses neue, gesunde Supermarktzeug: Wir können auf der Couch liegen, vorm Fernseher, und werden automatisch gesund und schlank. Fehlt nur noch die Vitaminzigarette.
Wellness von innen: die Lieblingssoap läuft, aus dem Pappkarton greife ich den Hamburger mit extragesunden Pflanzenextrakten, für Zellschutz, gegen freie Radikale. Dazu vielleicht ein Xan-Bier der bayerischen Traditionsbrauerei Weihenstephan mit Beautystoff gegen Zellstress und Augenringe. Oder für die Sofa-Girls die neue Coke plus, mit allen Vitaminen, die der Körper braucht. Und, als beruhigenden Dauer-Schlankmacher, den Lippenstift von Coca-Cola, der die Fettverbrennung ankurbelt.
Ehrlich, kein Witz, diese Produkte gibt es tatsächlich, oder sie sind schon in der Pipeline. Und immer mehr solcher Produkte mit “Branded active benefits” werden entwickelt. So nennen die Hersteller in ihrem Marketing-Englisch den künstlichen Zusatznutzen, auf deutsch: “Vorteile mit Markenzeichen”.
Zum TV-Krimi gibt es dann cholesterinsenkende Tortilla Snacks oder Süßigkeiten mit Ballaststoffen für eine happy Darmflora. Wer das Gefühl hat, er kann mit all dem gesunden Zeug nicht aufhören, greift einfach schnell zum neuen Kaugummi mit Hormonen, die satt machen. Wirklich!
Der Chemiker Robert Doyle von der Syracuse Universität in New York hat es mit seinen Forschern geschafft, Sättigungshormone so in einen Vitaminpanzer zu hüllen, dass sie die Magensäure als natürliche Barriere überstehen und dem Gehirn den eingeschleppten Befehl zum Sattsein geben. Eine Firma zum Kaugummiverkauf sei schon im Boot, Namen werden nicht genannt.
Herrlich bequem klingt das, und ich glaube viele Leute lassen sich gern etwas vormachen. Sie glauben den oft industrienahen Professoren oder irgendwelchen obskuren Experten, wenn die mal wieder den größten Quatsch für gesund erklären. Und dann kaufen sie den Kram für teures Geld, weil ihre Gesundheit es ihnen wert ist. Fragt sich nur, ob sie sich damit wirklich was Gutes tun. Und wer von diesem Produkt seinen Vorteil, die Benefits, hat.
Wer Extra-Vitamine nimmt, hat jedenfalls weniger Zeit zu leben, haben Wissenschaftler aus Dänemark, Finnland und den USA herausgefunden. In Deutschland gibt es mehr Vitamintote als Verkehrstote, hat DR.-WATSON-Geschäftsführer Hans-Ulrich Grimm für sein im letzten Monat erschienenes Buch errechnet. Trotzdem kaufen die Leute weiter Vitaminpillen.
Aber langsam scheinen zumindest manche ein gesundes Misstrauen zu entwickeln, und glauben nicht mehr jeden Blödsinn.
Konsumforscher aus Kopenhagen haben Konsumenten gefragt, was sie von einer vitaminangereicherten Cola hielten. Wenig, berichteten die Forscher: ”Funktionelle Lebensmittel, und Coca-Cola Light Plus im besonderen, wurde als eine Täuschung des Verbrauchers wahrgenommen, die ihm glauben machen soll, dass diese Produkte gesünder sind als die Originalversion des Produktes.”
Allerdings, so fanden die dänischen Forscher auch heraus, kaufen industriegläubige Menschen, die der Lebensmittelindustrie generell mehr Vertrauen schenken, auch eher funktionelle Lebensmittel.
Diese Befragten stört es offenbar kaum, dass der Mensch da in der Natur herummanipuliert.
Mich stört es schon. Erstens weil ich persönlich die Natur für ziemlich gelungen halte. Und zweitens weil ich als Ernährungswissenschaftlerin aus Berufsgründen immer wieder sehe, wohin diese künstlichen Eingriffe in das System Mensch-Essen führen. Oft wirken Nährstoffe nur in der natürlichen Kombination im Lebensmittel supergesund – aber isoliert und in neuer Dosis machen sie im schlimmsten Falle krank. Wie die berühmten Beta-Carotine, die in Karotten und Paprika gesund sind, aber in der Überdosis zu Krebs führten. Sogar die so gerühmte Becel pro.activ, die Margarine mit einem Wirkstoff namens Phytosterol, hat anscheinend die Herzen vieler Menschen regelrecht verstopft.
Auch das steht in “Vom Verzehr wird abgeraten”, dem neuen Buch von Hans-Ulrich Grimm.
Normalerweise sind viele Nährstoffe ja auch an einen bestimmten Geschmack gekoppelt. Antioxidative Farbstoffe wie das Lycopin oder andere Carotinoide kommen eher in frischem Gemüse vor, die Phytosterole oder auch pflanzliche Hormone in fettreichen Nüssen. Und bekanntlich kann man von dem einem viel und von dem anderen wenig essen, bis man satt ist. Aber wenn die die Gesundstoffe jetzt in einem Schokoriegel stecken? Oder in hoher Dosis in der Margarine? Und vielleicht die von der Natur konzipierte Dosierung nicht einhalten, dann sind Geschmack und Wirkstoff ja sozusagen entkoppelt. Das klingt als wäre der Sicherheitsgurt aufgegangen...
Bei der natürlichen Nahrung ist Überdosierung ausgeschlossen. Niemand kriegt ohne Ekel fünf Kilo Sauerkraut herunter oder zehn Kilo Leber. Bei den künstlichen Gesundheitsprodukten dagegen ist Überdosierung die Regel.
Hinzu kommt:
Das Gesundheitsmarketing konzentriert sich meist nur auf den einen Gesundstoff, der zugesetzt wurde. Und verdrängt, dass Bier ja immer noch Alkohol enthält, die Diätgetränke schädliche Süßstoffe und der funktionelle Schokoriegel eine Menge Zucker. Fast immer mit dabei: der süßliche Hauch des Aromazusatzes. Selbst wenn die Tortillachips ohne komische Kunstfette hergestellt sind kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das komplexe Nährstoffgefüge einer echten Mahlzeit ersetzen würden. Also kann man sowas guten Gewissens als gesundes Essen verkaufen?
Manches ist auch gar kein Essen mehr.
Der Kaugummi ohne Nährwert zum Beispiel der den Köper dennoch satt machen soll. Oder der Lippenstift, den Coca Cola zusammen mit einer Kosmetikfirma entwickelt hat. Der nährt nicht nur nicht, sondern soll sogar meine Depots auflösen, mit zugesetztem L-Carnitin meine Fettverbrennung anregen.
Fehlt nur noch eine vitaminisierte Zigarette.
Ach, die Vitaminzigarette gabs schon?
Tatsächlich wurde dem Bundesinstitut für Risikobewertung schon 2003 eine durch Vitamin E gesund-designte Zigarette vorgelegt. Die Behörde schätzte die Forschungsdaten für gerauchtes Vitamin E allerdings als ungenügend ein.
Mir ist, ehrlich gesagt, Vitamin E ohne Schmauchspuren auch lieber.
Aus Erdnüssen und Walnüssen, Oliven zum Beispiel. Selbst Spargel schenkt Vitamin E. Auf den freue ich mich schon.
Selbst Sahne enthält Vitamin E. Für mich ein Muss zu den kommenden Erdbeeren. Die wiederum bieten Vitamin C, Kalzium und Kalium. Gesundstoffe in Hülle und Fülle, wohin mein Appetit mich auch treibt. Ob Chilisauce und Knoblauch, Bratkartoffeln und Ei, Bohnensalat oder das Hühnchen aus dem Ofen. Nicht zu vergessen die Hühnersuppe, mit ihrem Kollagen gegen Falten.
Also ich bleibe beim Ehrlich Essen. Das finde ich mit seinen natürlichen Active Benefits nicht nur sympathischer - ich glaube auch, dass es der Schönheit mehr hilft, als Abnehm-Lippenstift oder Beauty-Burger.
Mehr dazu:
Maike Ehrlichmann, Sissa Wallin:
Ehrlich essen macht schön.
Heyne Verlag
Taschenbuch, 168 Seiten, € 12,99
ISBN-10: 3453650212
ISBN-13: 978-3453650213
Hans-Ulrich Grimm
Vom Verzehr wird abgeraten.
Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht
Droemer Verlag
320 Seiten Klappenbroschur, € 18,00
ISBN 3-426-27556-2
ISBN 978-3-426-27556-6