Täglich ein Gläschen oder zwei: So ist das bei der ärztlich empfohlenen Mediterranen Ernährung. Damit soll jetzt Schluss sein.
Unglaublich, aber wahr: Wie ausgerechnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die hochgelobte Mittelmeerdiät torpediert.
Verführerische Antipasti mit gebratenem Gemüse, Paprika, Aubergine, vielleicht noch Bruschetta mit Tomaten, lecker Lasagne, oder ein Risotto mit Meeresfrüchten.
Die Mediterrane Ernährung: Schmeckt super, und ist sogar ärztlich empfohlen, sie gilt als Königsweg zu Gesundheit und einem langen Leben. Ein Gläschen Wein gehört dazu. Ein Chianti, ein Chardonnay oder Barolo.
Doch damit soll jetzt Schluss sein.
Der Wein soll weg. Seit tausenden von Jahren ist er eine tragende Säule der hochgepriesenen Mittelmeerernährung, die sogar zum offiziellen Weltkulturerbe ernannt wurde. Doch jetzt ist er unter Beschuss.
Alkohol gilt als großes Übel und soll am besten aus dieser Welt verschwinden.
Die Medien kämpfen schon seit längerem dagegen, allen voran die Süddeutsche Zeitung. Sie pries schon die radikalste Lösung, das Totalverbot nach US-Vorbild vor 100 Jahren: Die »Prohibition hatte positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung.
Jetzt haben Anti-Alkohol-Aktivisten offenbar schon die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gekapert.
Mit einem „Globalen Alkohol-Aktionsplan“ ziehen sie in den Krieg. Sogar einen „Führer“ haben sie voriges Jahr dazu herausgegeben, der Journalisten sagt, wie sie „denken und berichten“ sollen. Null Alkohol. Das ist ihr Ziel.
Das nervt nicht nur Institutionen wie die Deutsche Weinakademie, die sozusagen der wissenschaftliche Arm der 15.000 deutschen Winzer ist und die Weltorganisation als „11.-Gebots-Verkünder“ bezeichnet, der sich „mehr und mehr zum politischen Lobbyisten“ entwickle.
Selbst unter Gesundheitsschützern wächst die Kritik vor einer überzogenen und letztlich kontraproduktiven Gesundheitspolitik.
Bestes Beispiel: der Wein. Denn ausgerechnet er ist für viele positive Gesundheitseffekte der Mittelmeerernährung verantwortlich. Wenn er wegfällt, drohen also mehr Krankheiten, mehr vorzeitige Todesfälle. Und zwar millionenfach.
Klar: Zu viel Alkohol ist auch schädlich. Davor zu warnen ist berechtigt.
Doch mittlerweile geht es nicht mehr um das gesunde Maß. Die Fundamentalisten-Fraktion hat offenbar die Oberhand gewonnen. Das Ziel: die absolute Abstinenz.
Es sind vor allem die Suchtforscher, die naturgemäß eher die Nachteile im Blick haben, die Vorteile leugnen und kleinrechnen, etwa mit dem Vorwurf der „Überrepräsentation älterer weißer Männer“ in den bisherigen Untersuchungen.
Die WHO macht sich zum Sprachrohr dieser Fanatiker.
„Alkohol“, so heißt es in einer Verlautbarung der Organisation, sei eine „giftige, psychoaktive und abhängig machende Substanz“. Als Krebserreger auf einer Stufe mit atomarer Strahlung – und eine tödliche Gefahr für uns:
„Europa weist von allen Regionen der WHO den höchsten Alkoholkonsum und den höchsten Anteil an Trinkern in der Bevölkerung auf.“ So die Schreckensbotschaft der Genfer Fundamentalisten: „Hier sind über 200 Millionen Menschen in der Region gefährdet, an alkoholbedingtem Krebs zu erkranken.“
200 Millionen potenzielle Krebsopfer durch Alkohol? Bei uns, „hier“, in Europa?
Nach WHO-Geographie reicht Europa allerdings bis Wladiwostok, also weit hinter China: Die „WHO-Region Europa“ umfasst auch einen Großteil Asiens, etwa die Türkei, Turkmenistan, Usbeskistan, Belarus, insgesamt eine Milliarde Einwohner, inklusive aller Wodkafreunde Russlands.
Differenziert wird bei der WHO nicht, nicht zwischen Ländern und Sitten, zwischen Wein, Bier, Schnaps, und auch nicht zwischen konsumierten Mengen. Denn, so behauptet die Weltorganisation kühn: die „Risiken beginnen bereits beim ersten Tropfen“.
„Es spielt keine Rolle, wie viel Sie trinken – die Gefahr für die Gesundheit des Trinkers beginnt bereits beim ersten Tropfen eines alkoholischen Getränks.“ Meint Dr. Carina Ferreira-Borges vom WHO-Regionalbüro für „Europa“ in der Nulltoleranz-Proklamation der Organisation.
Das allerdings ist, bei allem Respekt für die Weisheit von Weltbeamt*innen, nun leider eine Lüge.
Selbst Studien, auf die sich die WHO bezieht, sehen die längste Lebensdauer nicht bei null Tropfen Alkohol. Sondern bei bis zu 100 Gramm pro Woche. So jedenfalls das Ergebnis von Ermittlungen unter 599.912 Versuchspersonen durch eine beeindruckend große internationale Gruppe von Forschern, auch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke, veröffentlicht im Mediziner-Fachblatt Lancet.
Am besten für ein langes Leben ist also knapp ein Liter Wein pro Woche. Hier herrsche das „minimale Mortalitätsrisiko“. Wer mehr trinkt, stirbt demnach früher – wer abstinent lebt allerdings auch.
Das zeigt die berühmte „J-Kurve“, die Quintessenz aus Bergen von Studien: zunehmender Alkoholkonsum hat diverse Krankheiten und einen frühen Tod zur Folge hat – Abstinenz, also null Alkohol, aber ebenso.
Die berühmte J-Kurve: Zu viel Alkohol macht krank - Abstinenz aber auch. Grafik: Droemer Verlag
Die Null-Alkohol-Strategie für alle ist also gesundheitlich riskant.
Gerade die hochgelobte Mittelmeerernährung wird durch ein Alkoholverbot weit weniger gesund.
Es geht hier schließlich um den Wein. Und der unterscheidet sich eben „von anderen alkoholischen Getränken“, so eine Forschungsübersicht italienischer Wissenschaftler. „Moderater Konsum“ sei mit „gesundheitlichen Vorteilen verbunden“, insbesondere in einem „mediterranen Ernährungsmodell“.
Er wirkt vor allem offenbar wegen seiner Polyphenole. Vor allem beim Rotwein gibt es nur Gutes zu berichten, so bilanzierte kürzlich eine US-Studie, der Autor übrigens ein Pharmakologe, also ein Arznei-Experte.
Sein Befund: Der Rotwein senke diverse Krankheitsrisiken, für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, auch Demenz, sogar bestimmte Krebsarten, und wirke insgesamt lebensverlängernd.
Und das ganz ohne Risiken und Nebenwirkungen: „Es gab keine Studien, die einen Zusammenhang zwischen Rotweinkonsum und negativen gesundheitlichen Folgen belegten.“
Sogar Menschen, die schon alles fürs Anti-Aging tun, können durch mäßigen Genuss noch weitere Lebenszeit gewinnen.
Das fand eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung der Harvard-Universität im US-Bundesstaat Massachusetts heraus, also der höchsten wissenschaftlichen Instanz in Sachen Ernährung und Gesundheit auf diesem Planeten.
Professor Frank B. Hu hatte mit seinem Forscherteam aus Chicago, der Schweiz, den Niederlanden und China eine Fülle von Daten aus mehreren Jahrzehnten ausgewertet, mit insgesamt fast 112.000 Teilnehmern aus der Medizinbranche. Doch auch wenn sie sich gesund ernährten, Sport trieben, schlank waren – am längsten lebten diejenigen unter ihnen, die maßvollen Alkoholgenuss ankreuzten. Dadurch gab’s bei Frauen noch drei gesunde Lebensjahre obendrauf, bei Männern immerhin zehn Monate.
Den Wein also canceln, ausgerechnet bei der bewährten und erwiesenermaßen gesunden Mittelmeerernährung?
Die Harvard-Leute luden daher jüngst eine ausgewiesene Koryphäe auf diesem Gebiet ein: Professor Miguel Martínez-González von der Universität Navarra im Wein-Land Spanien, Guru der Mediterran-Ernährung, einer der meistzitierten Forscher der Welt. Sein Thema:
Sollte Rotwein aus der Mittelmeerdiät gestrichen werden?
Und er hat ihnen ganz nüchtern geschildert, was unserer Gesundheit droht, wenn wir darauf verzichten. So hatten griechische Forscher in einer Studie, die er als besonders „elegant“ lobte (Titel: „Anatomie der gesundheitlichen Auswirkungen der Mittelmeerdiät“) den Anteil des Alkohols an den segensreichen Gesundheitswirkungen der Mediterranen Ernährung exakt bestimmt: 23,5 Prozent.
Er selbst hatte herausgefunden, dass eine mediterrane Ernährung mit Alkohol das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sogar um bis zu 30 Prozent senken kann.
Schön blöd, wer auf so ein Mittel zur Krankheitsvorbeugung verzichtet.
Andererseits gibt es ja die Neigung zum Überkonsum, die zahlreichen alkoholbedingten Verkehrsunfälle. Vor allem bei Jüngeren.
Auf die Frage, ob der Wein aus der Mittelmeerdiät gestrichen werden sollte, antwortet er also: „Ja, auf jeden Fall für die unter 35-Jährigen.“
Für die anderen will er das noch genauer klären. Die Studie dazu ist eben angelaufen, finanziell unterstützt von der Europäischen Union, mit 10.000 Freiwilligen der Altersgruppe 50+. Sie soll jetzt definitiv klären, ob das Gläschen Chianti – oder auch Rioja – das Leben verlängert oder nicht.
Wer also sicher gehen möchte, wartet mal die Ergebnisse ab. Oder wägt sein persönliches Risiko ab, auch dafür gibt es eine Harvard-Anleitung.
Die deutsche Ärztezeitung hatte schon vor einiger Zeit versucht, Nutzen und Schaden aufzurechnen, und kam zu dem Schluss, dass „unterm Strich“ für viele die Vorteile überwiegen.