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06.11.2020

DR. WATSON Recherche

Mehr Covid-Patienten auf Intensivstationen (rote Kurve unten) - aber die Gesamtzahlen bleiben stabil (blaue Kurve oben). Ist der Lockdown die richtige Maßnahme?
Robert Koch-Institut

Corona und seine Helfer

Was macht uns so empfänglich für das Virus Sars-CoV-2?

Der Gesundheitsnotstand droht, warnen Politiker und Medien, und natürlich ist der Schrecken groß. Fitnessstudios zu, Theater zu, Kneipen zu, Kontakte gekappt. Alles, um zu verhindern, dass die Zahlen auf den Intensivstationen explodieren. Doch überraschenderweise sind sie erstaunlich stabil – trotz steigender Corona-Zugänge. Was ist da los? In dieser coronaverrückten Welt? Und welche Rolle spielt die Wahl in Amerika?

"Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung", hatte Kanzlerin Angela Merkel gesagt, um eine "akute nationale Gesundheitsnotlage zu vermeiden".

Und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnte düster davor, dass „die Intensivstationen in Deutschland bis zum Nikolaustag voll“ sind: Denn „Die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen verdoppelt sich derzeit alle acht Tage.“

Der Faktencheck ergibt: So ganz stimmt das nicht.

Zwar gibt es mehr Corona-Patienten auf den Intensivstationen – aber die Gesamtzahl steigt überraschenderweise kaum. Das zeigt der Blick auf die aktuellen Daten des Robert Koch-Instituts im sogenannten „Intensivregister“ (dort auf „Zeitreihen“ klicken und herunterscrollen bis zur „Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Fälle an Anzahl belegter Intensivbetten (*d)“; siehe Grafik oben).

Was ist da los?

Natürlich sind es viele Faktoren, die die Krankheitszahlen in die Höhe treiben. Die sozialen Kontakte gehören natürlich auch dazu, die medizinische Versorgung spielt eine große Rolle, die Siedlungsdichte in einem Land, saisonale Gegebenheiten, auch das Vertrauen in die Führungsfiguren der Politik soll eine Rolle spielen.

Insofern wird die Wahl in Amerika dort womöglich gar nicht so viel ändern, auch wenn sich politisch die Verhältnisse ändern: während bisher die eine Hälfte der Führung misstraute, wird es künftig wohl die andere sein.

Zumal sich so schnell an den Hintergründen so schnell nichts ändern wird, den Ursachen für die Anfälligkeit, an dem also, was das Virus so stark macht. Denn allein kann es nicht viel anrichten, jedenfalls im Vergleich zu richtigen Killerviren, auch in der Geschichte.

SARS-CoV-2 braucht Unterstützung, ein günstiges Umfeld, um tödliche Wucht zu entfalten – oder überhaupt die Intensivstationen zu füllen.

Übergewicht, zum Beispiel, oder die Zuckerkrankheit Diabetes, auch Krebsleiden, Probleme mit Herz und Nieren.

Menschen, die davon betroffen sind, werden anfälliger für die Attacken des Coronavirus.

In den USA, zum Beispiel, sind es vor allem „ethnische Minderheiten“, namentlich Schwarze und Latinos, weswegen manche schon fragten, ob das Virus „rassistisch“ sei.

Ihre Kinder müssen zum Beispiel öfter wegen Covid ins Krankenhaus, ihre Rate bei den Hospitalaufenthalten liegt bis zu achtmal so hoch wie die der Weißen. Sie litten allerdings verhängnisvollerweise auch häufiger an den einschlägigen Vorerkrankungen, allen voran: Adipositas. Auch Diabetes ist in diesen Bevölkerungsgruppen generell weiter verbreitet .

Corona hat also ein leichtes Spiel, tragischerweise, gerade in den ärmeren Bevölkerungskreisen.

Es hat also nicht nur mit den Risikofaktoren wie Kontakten, Ansteckungsmöglichkeiten, Reiseaktivitäten zu tun, auch dem Alter, sondern vor allem mit dem Gesundheitsstatus – und so auch mit der Ernährung, dem Nahrungsangebot.

Und da sieht es in den USA über weite Strecken ganz düster aus.

Dort haben zum Beispiel 39 Millionen Menschen kaum Zugang zu frischem Essen.

Die Regierung hat sogar schon begonnen, diese sogenannten "Lebensmittelwüsten" ("Food Deserts") zu kartographieren.

So hat das Leiden an Covid-19 sehr viel mit dem herrschenden Ernährungssystem zu tun, das ungesunde Nahrung verfügbarer und auch billiger macht und die Bevölkerung, insbesondere die Armen, damit gewissermaßen zwingt, sich krank zu essen – und somit auch dem neuen Virus den Weg bereitet.

Überraschenderweise sterben hingegen in den ärmeren Ländern auf dieser Welt weit weniger Menschen an Covid-19, wie jetzt eine Untersuchung des Londoner King’s College ergeben hat, auf Grundlage von Daten aus 175 Ländern.

So ist auf dem afrikanischen Kontinent die große Corona-Katastrophe bisher ausgeblieben, sehr zur Überraschung mancher Medien, die da vorauseilend schon mal Szenarien in schwärzesten Farben gemalt hatten, natürlich in allerbester moralischer Absicht, stets auf Seiten der Opfer, auch wenn es sie noch gar nicht gibt.

So schlug die Süddeutsche Zeitung schon im April Alarm:

„Afrika steht allein am Abgrund“. Und bezog sich auf düstere Prophezeiungen, natürlich von älteren weißen Herren: „Der Virologe Christian Drosten warnt, bald werde es in ärmeren Ländern ‚Szenen geben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können’. Bill Gates geht von bis zu zehn Millionen Toten in Afrika aus. So vielen wie sonst nirgends auf der Welt.“

Was wiederum manche Afrikaner ihrerseits für rassistisch halten, wenn sie von wohlwollenden, mitleidsstrotzenden Weißen vorzugsweise im Opfer-und-Verlierer-Status gehalten werden.

Es ist dann auch ganz anders gekommen, wunderte sich das Mitfühl-Blatt aus München Anfang dieser Woche: „Afrika scheint besser durch die Pandemie zu kommen als befürchtet.“

Liegt es an frühen Lockdowns dort, der jungen Bevölkerung, dünn besiedelten Ländern? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht vor allem soziale Faktoren und Umweltbedingungen als Gründe für die niedrigen Covid-Raten.

Wissenschaftler weisen auch darauf hin, dass die wenigen Covid-Fälle in Afrika bei älteren Stadtbewohnern mit den einschlägigen Vorerkrankungen beobachtet wurden.

Das scheint in Afrika offenbar der wichtigste Schutzfaktor zu sein: dass dort weniger Menschen an den einschlägigen Vorerkrankungen leiden. Weil der wichtigste Risikofaktor dafür fehlt: Nahrung, die krank macht. Insbesondere die sogenannte ultra-verarbeitete Nahrung.

Dazu gehört: Fast Food, Fertiggerichte, Frühstückszerealien, Softdrinks, industrielle Babynahrung.

All das schlägt auf die Gesundheit, wie die Welternährungsorganisation (FAO) feststellt: „Ultra-verarbeitete Lebensmittel und Getränke erhöhen das Risiko von Fettleibigkeit und anderen nichtübertragbaren Krankheiten sowie die meisten Sterblichkeitsursachen erheblich, während ein geringerer Konsum erhebliche Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden hat.“

Beispiel Brasilien, das Land, das zur Weltspitze gehört bei den Covid-Todeszahlen – weil der Boden besser bereitet ist durch massenhaft verbreitete Vorerkrankungen.

Hier ist die Transformation des Ernährungssystems weit vorangeschritten, tragischerweise sogar unter tatkräftiger Mithilfe der Armen, die für Konzerne wie Nestlé durch die Favelas streifen – und selbst als erste krank werden von den Produkten, die sie propagieren (müssen), um auch nur ein bisschen Geld zu verdienen.

Zum Beispiel Joana D’arc de Vasconcelos Neves aus der »Direktvertriebsarmee von Nestlé«, über die sogar die New York Times berichtet hatte.

Stolz zeigte sie den Reportern in ihrer Wohnung die Zertifikate der Ernährungskurse von Nestlé, die Plüschtiere von Nestlé und das Foto ihrer Kinder im Alter von zwei Jahren, die sie mit den Produkten der Firma fütterte: »Als er ein Baby war, aß mein Sohn nicht gerne – bis ich anfing, ihm Nestlé-Lebensmittel zu geben.«

Ihre 17-jährige Tochter wiegt nach den Recherchen der Reporter mehr als 114 Kilo, hat das polyzystische Ovarialsyndrom, eine hormonelle Störung, und Bluthochdruck – genau wie ihr Mann.

Frau de Vasconcelos selbst hat ebenfalls Bluthochdruck und Diabetes, wie auch ihre Mutter und zwei Schwestern. Ihr Vater starb drei Jahre zuvor, nachdem er seine Füße durch Wundbrand, eine Komplikation von Diabetes, verloren hatte.

Die Zuckerkrankheit ist in ihrer Umgebung allgegenwärtig: »Es wäre schwer, hier eine Familie zu finden, die sie nicht hat.«

Es ist dieses Ernährungssystem, das die Menschen vulnerabel macht und so die Grundlagen bereitet für den Siegeszug von Sars-CoV-2, die "Coca-Kolonisierung der Welt", wie es der berühmte australische Diabetesforscher Paul Zimmet genannt hat.

Wobei es natürlich nicht nur um Coca-Cola geht, sondern um das ganze „Paket“, wie er sagt, die „Westliche Ernährung“ und namentlich die „ultra-verarbeitete“ Nahrung, die den Körper aus dem Konzept bringt und Krankheiten den Weg bereitet.

Und natürlich hat dieses Ernährungssystem auch seinen Beitrag geleistet, um bei uns die Intensivstationen zu füllen. Mit Herzkranken, Krebskranken, Zuckerkranken – die dann auch noch Covid-19 bekommen, und so in die Statistik eingehen, die bei Politikern und Medien die Alarmglocken schrillen lassen.

Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, bei der Ursachenforschung ein bisschen tiefer zu gehen. Bisher kreist die Debatte um Ansteckungsorte, um Kontakte, Verbote und Beschränkungen.

Zielführender wäre es, die wissenschaftlich identifizierten Risikofaktoren für eine schwere Covid-19-Erkrankung ins Auge zu fassen, die eine Krankenhausbehandlung nötig machen: Bluthochdruck, Diabetes, Herzprobleme, Übergewicht – und die Zusammenhänge mit der Ernährung, insbesondere dieser „ultra-verarbeiteten“ Nahrung, die zur Entstehung dieser Risikofaktoren schon bei Kindern beiträgt.

Wahrscheinlich würde das mehr zur Entlastung der Intensivstationen beitragen als die Versuche, die Corona-Kurve zu beeinflussen, die ganz offensichtlich kaum einen Einfluss auf die Gesamtbelastung dort hat, jedenfalls nach den Daten der obersten deutschen Seuchenschutzbehörde.



Mehr zum herrschenden Ernährungssystem und seinen Folgen:

Hans-Ulrich Grimm:
Food War
Wie Nahrungsmittelkonzerne und Pharmariesen unsere Gesundheit für ihre Profite aufs Spiel setzen


Droemer Verlag 2020, 256 Seiten
ISBN: 978-3-426-27800-0
19,99 Euro
E-Book
ISBN: 978-3-426-45656-9
14,99 Euro