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20.09.2022

DR. WATSON Recherche

Gefährliche Bakterien aus der Babymilch

Was unsere Medien verschweigen

Zum Heulen: Babys mögen keine Fläschchenmilch. Sie haben ihre Gründe.
Foto: Globalmoments

Was Nestlé, Danone & Co. gern unter der Decke halten möchten: Krankheitserreger aus ihrem Säuglingspulver können zu Tod oder lebenslanger Behinderung führen. Experten fordern Warnhinweise.



Janine ist im besten Teenageralter. Doch sie kann nicht sprechen, sie kann sich nicht aufsetzen oder gar schlucken. Sie muss dauerhaft gepflegt werden.

 

Die Ursache, so die Ärzte: Gefährliche Bakterien aus der industriellen Säuglingsmilch, die sie bei ihrer Geburt bekommen hatte, führten zu einer schweren Meningitis und irreparablen Hirnschäden.

 

Dass solche Fälle nicht zum weltweiten Skandal wurden, ja sogar kaum bekannt sind, liegt auch an den besonderen Fähigkeiten (man könnte auch sagen: Tricks und Fiesheiten) der Anwälte, die die Hersteller engagiert hatten, um ihre Interessen durchzusetzen – gegen die Kinder und ihre Eltern.

 

Jetzt haben die angesehensten Zeitungen der Welt darüber berichtet.

 

Mit Hilfe der Advokaten haben die Konzerne  verhindert, dass kranke Babys zum Skandal wurden, schrieb die New York Times Anfang des Monats. Sie bewirkten, dass Eltern nicht ausreichend vor den Risiken gewarnt wurden, so die Washington Post am gleichen Tag.

 

Die Folge: Weil die Vergiftung eines Neugeborenen (New York Times) durch die Fläschchmilch im Jahr 2008 unbemerkt blieb wie andere Fälle auch, wurde das Problempulver weiter produziert und an Babys verfüttert wie zuvor.  Bis zu diesem Frühjahr. Da schlugen die gefährlichen Mikroben wieder zu. Vier Babys erkrankten, zwei starben. Die Firma musste einen Rückruf starten, ihre Fabrik schließen, wenigstens vorübergehend.

 

Tatsächlich wurden bei Überprüfungen die Bakterien vom Typ Cronobacter sakazakii in den Produktionsanlagen entdeckt, und zwar zum wiederholten Male.

 

Der Babymilchskandal in den USA verursachte weltweite Aufregung. Sogar eine Luftbrücke aus Europa musste den Nachschub sichern. Doch die Gefahr durch die Bakterien aus dem Säuglingspulver geriet in den Hintergrund. Die Medien schwiegen dazu weithin. In der Tagesschau etwa war nur vage von „Unregelmäßigkeiten“ die Rede -  obwohl die gefährlichen Mikroben immer wieder auch hierzulande aufgetaucht sind und ihre Opfer gefordert haben.

 

Dunkelziffer in Deutschland

 

Doch weil es etwa in Deutschland keine Meldepflicht gibt, werden die Fälle gar nicht bekannt. Es „muss mit einer Dunkelziffer gerechnet werden“, meinte das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer Stellungnahme aus Anlass des Babymilchskandals in den USA. Zwar sind nicht sehr viele Babys betroffen: statistisch gibt es jedes Jahr etwa eine Infektion mit Cronobacter auf 100.000 Säuglinge, etwas mehr seien es bei sehr geringem Geburtsgewicht. Doch die Folgen sind dramatisch.

 

Die Konzerne unternehmen deshalb viel, um das Thema unter der Decke zu halten. Die US-Babynahrungskonzerne wie Abbott, aber auch hiesige Firmen wie Nestlé und Danone weisen die Verantwortung von sich. Auch wenn es nur wenige Fälle sind: Babynahrung ist ein emotionales Thema, da passen Bilder von behinderten Opfern natürlich nicht ins Konzept. Sie unternehmen deshalb alles, um sich von Schuld freizusprechen – und sie sogar den Familien selbst zuzuschieben.

  

Konzerne contra Kinder: Es geht um die Zukunft der nächsten Generation, und ihre Gesundheit. Denn die Säuglingsmilch ist ja erst der Anfang.

 

Aus Anlass des diesjährigen Weltkindertages haben jetzt die Verbraucherschützer von Foodwatch und Kindermediziner strengere gesetzliche Maßnahmen gefordert, um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen besser zu schützen.

 

Die Gefahren gehen dabei keineswegs nur von Bakterien aus – sondern mehr noch von der Nahrung selbst, den chemischen Zutaten, den Veränderungen durch die industrielle Produktion, und das geht ja nach den ersten Lebensmonaten weiter, mit den Babygläschen, den ganzen Kinderprodukten, Fastfood, Softdrinks, Fertignahrung.

 

Verheerende Folgen

 

Die Folgen sind verheerend, das zeigen immer mehr wissenschaftliche Befunde: Denn diese Art von Nahrung macht die Kinder nicht nur dick, sie steigert nach einer neuen Studie den Blutdruck und damit das Risiko für Herzprobleme später im Leben. Auch die geistige Leistungsfähigkeit nimmt ab – beginnend schon vor der Geburt, wenn die werdende Mutter sich vorwiegend mit solchen Industrieprodukten ernährt, wie eine aktuelle Untersuchung ergab. Auch die steigenden Krebsraten bei Kindern könnten in dieser Art von Nahrung eine Erklärung finden, so eine internationale Forschergruppe im März 2022 im British Journal of Cancer.

 

Durch diese „ultra-verarbeitete“ Nahrung, zu der auch Tiefkühlpizza, die Frühstückszerealien, vitaminisierte Produkte gehören, sind die Kinder heute mehr gefährdet als jede andere Altersgruppe.

 

Weltweit steigt die Ultra-Quote in der Kinderernährung,  an der Spitze steht Großbritannien, wo die Kinder durchschnittlich 68 Prozent ihrer Kalorien aus solch fragwürdigen Quellen beziehen, jedes fünfte Kind sogar knapp 80 Prozent.

 

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kost in Kita und Schulkantinen, die nicht nur im Vereinigten Königreich zumeist ultra-verarbeitet ist – und zunehmend auch hierzulande, wenn sie aus Kochfabriken wie etwa Apetito kommt, wie ein Werksbesuch mit DR. WATSON offenbarte – und die Zutatenliste zeigt.

 

Am Anfang steht die Säuglingsnahrung. Sie stellt die Weichen fürs spätere Leben und entscheidet, ob die Kinder auf die Industrieschiene einschwenken oder auf echte Lebensmittel abfahren.

 

Es steht deshalb viel auf dem Spiel – für das Geschäft der Konzerne, auf der einen Seite, die Gesundheit der Kinder auf der anderen. Und natürlich viel Geld: Geld, das die Konzerne bekommen – Eltern und Kinder aber bezahlen, jetzt, für die Konzernprodukte, und später, für die Krankheiten, die damit einhergehen.

 

Kein Wunder, dass die hochbezahlten Advokaten der Konzerne in diesem Krieg um die Kinder deshalb alles unternehmen, um ihren Geldgebern die Geschäftsfelder zu sichern.

 

Die Schlachten vor Gericht sind dabei natürlich ganz entscheidend. Da geht es um Schuld und Verantwortung, auch in tragischen Fällen wie der armen Janine Kunkel, deren Familie an den Folgen ihrer bakteriellen Vergiftung fast zerbrochen wäre. Die Eltern von Janine hatten den Babynahrungskonzern natürlich verklagt, wie auch andere Opferfamilien.  

 

Konzern-Anwälte gegen Opferfamilien 

 

Vor Gericht treffen sie dann auf ausgebuffte Gegner, die teuersten und gerissensten Anwälte aus riesigen Kanzleien, die nach allen Regeln der Kunst gegen die betroffenen Familien kämpfen.

 

Alles natürlich völlig im Rahmen des Erlaubten. Darauf legen die hoch angesehenen Anwaltsfirmen Wert: Sie hätten da niemals „Ungewöhnliches oder Unangemessenes“ getan, versicherten sie gegenüber der New York Times, die über ihre Praktiken berichtet hat.

 

Zum Üblichen gehört da beispielsweise, die Gerichte mit umzugskartonweise angelieferten Unterlagen „einzuschneien“, die gegnerischen Anwälte mit Arbeit einzudecken,„Zehntausenden von Seiten Papierkram“, um einen wichtigen Mandanten zu schützen.  Selbst wenn die Materialien nur am Rande mit diesem speziellen Fall zu tun hätten, müssten die Anwälte der Familien unzählige Stunden damit verbringen, über den Dokumenten zu brüten, um zu sehen, was sie enthielten.

 

Natürlich gehört auch eine gewisse Härte zum alltäglichen Geschäft dieser Konzern-Anwälte, etwa wenn sie die Opferseite bei ihren Zeugenbefragungen unentwegt unterbrechen, nach dem fernsehbekannten Motto: „Einspruch, Euer Ehren!“. Und zwar  so lange, bis die Zeugen ihre Aussagen verweigern.

 

Oder sie unterziehen ihrerseits die Opferfamilien intensivster Befragung, etwa bezüglich ihres Verhältnisses zu Hygiene, wie sauber es in der Küche sei, sogar zu Schulden, früherem Ladendiebstahl oder Drogen.

 

Das Ziel: Die Schuld vom Konzern wegzuschieben, den Eltern anzulasten.

 

Bakterien aus der Babynahrung

 

Dabei sind die Vergiftungen kaum jemals ohne vorherigen Genuss industrieller Muttermilchersatzprodukte aufgetreten. Es sei „äußerst ungewöhnlich“, dass Cronobacter-Infektionen bei Babys aufträten, die keine Säuglingsnahrung in Pulverform erhielten, konstatierte eine Studie aus dem Jahr 2012, von einem langjährigen Beamten der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC).  Die überwiegende Mehrheit – 79 Prozent – ​​der Babys hatte zuvor Milchpulver zu sich genommen, stellten andere CDC-Beamte 2020 fest.

 

Und auch die hiesigen Babynahrungskonzerne, die mit Erlaubnis der US-Lebensmittelbehörde FDA unter großem Medienbeifall eine „Luftbrücke“ für ihr Säuglingspulver organisierten, tragen zur Verbreitung von Cronobacter sakazakii bei, . 

 

Der französische Milch-Multi Danone beispielsweise (Milupa, Aptamil) musste 2018 Babymilch in Asien zurückrufen, auf Geheiß der Behörden in Singapur. Grund: Cronobacter sakazakii. Und sogar im Skandaljahr 2022 wurde die Bazille von australischen Offiziellen entdeckt, in Danone-Nutricia-Produkten, die in Europa hergestellt wurden, wie der Milupa-Mutterkonzern mitteilte, wobei  die Charge mysteriöserweise in der Fabrik noch negativ getestet wurde, also „bevor sie unser Werk verließ“, wie ein Sprecher im Mai sagte.

 

Baby tot, Freispruch für Nestlé 

 

Und auch Hersteller Nestlé hatte sein Cronobacter-Problem: Ein Säugling namens Natan war nach seiner Geburt am 11. März 2002 in einem belgischen Krankenhaus mit Nestlé Beba 1-Säuglingsnahrung gefüttert worden. Kurz nach der Entlassung an seinem fünften Lebenstag wurde er krank, seine Eltern brachten ihn ins Universitätskrankenhaus in Gent. Am 17. März, nach seiner ersten Woche auf dieser Welt, starb Natan an Meningitis, verursacht durch Cronobacter sakazakii.

 

Die Ermittlungen der Behörden verliefen, für Belgien nicht ganz untypisch, schleppend. Die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein und konnte immerhin recherchieren, dass der Tod des kleinen Natan auf auf kontaminierte Milch im Krankenhaus zurückzuführen sei. „Natan starb an einer Bakterie in der Milch, vor der der Hersteller Nestlé nicht gewarnt hatte“, schrieb der belgische Standaard.

 

Doch niemand konnte dafür verantwortlich gemacht werden, auch eine Klage gegen Nestlé wurde abgewiesen. In Belgien war es schon der dritte Säugling, der nachweislich an diesem Bakterium gestorben war. Die Nestlé-Beba-Säuglingsmilch kam in diesem Fall übrigens aus Deutschland.

 

Auch hier wurde ein Baby nachweislich infiziert, im Jahr 2007 gab es auch einen Rückruf von drei namhaften Herstellern.  In der Schweiz musste 2020 Babynahrung der Marke Bimbosan zurückgerufen werden.

 

In mehreren Ländern Europas wurden Infektionen dokumentiert, je eine in Griechenland und Dänemark, fünf in Frankreich acht in den Niederlanden, und zwar in einem Zeitraum von 1961 bis 2018.

 

Doch diese Hintergründe waren den Medien beim Babymilch-Skandal in diesem Jahr vollkommen schnuppe. Die möglichen Folgen für die Kinder und ihre Familien, Tod oder lebenslange Behinderungen, das interessierte sie nicht so sehr. Sie sind praktisch vollzählig und kritiklos auf Kunstmilch-Kurs eingeschwenkt, sorgten sich um die flächendeckende Versorgung damit.

 

Dabei sind sich die zuständigen internationalen Institutionen absolut einig in ihrer Ablehnung der industriellen Ersatznahrung und den Vermarktungspraktiken ihre Hersteller.

 

Medien auf Kunstmilch-Kurs

 

Just am Jahresbeginn 2022, pünktlich zum Ausbruch der Babynahrungskrise um Cronobacter sakazakii, hatten WHO und Unicef in einem neuen Report die „skrupellose Vermark­tung“ von Nestlé, Danone und anderen massiv kritisiert, als „allgegenwärtig, irreführend und aggressiv“.

 

"Um die Gesundheit der Kinder zu schützen, müssen dringend Vorschriften gegen dieses ausbeuterische Marketing erlassen und durchgesetzt werden." sagte der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus.

 

Die Weltgesundheitsorganisation setzt sich bekanntlich fürs Stillen ein, wegen der gesundheitlichen Vorzüge für Mutter und Kind.

 

Das wäre natürlich auch eine Option, um die Gefahren durch Cronobacter sakazakii aus dem Pulver fürs Fläschchen zu umgehen. Muttermilch enthält keine aggressiven Bakterien. Es gäbe keine Todesfälle und Behinderungen durch Cronobacter. Muttermilch ist zudem immer verfügbar. Es gäbe keine Verknappung und keine hungernden Babys.

 

Muttermilch stärkt die Autonomie der Frauen gegenüber der Fremdbestimmung durch profitgierige Konzerne. So jedenfalls lautete lange der klassisch-emanzipatorische feministische Ansatz,

 

Doch jetzt hat sich der Wind gedreht. Jetzt stehen die Medien praktisch geschlossen an der Seite der Nahrungskonzerne. Die Süddeutsche Zeitung etwa schrie empört auf, als angesichts einer drohenden „Baby-Hungerkrise“ aus gewissen Kreisen (Trump-Partei, christliche Fundamentalisten) tatsächlich solche traditionalistischen „Tipps“ kamen wie: "Probiert es doch einfach mit STILLEN!"

 

Und das Nachrichtenmagazin Profil aus der benachbarten Alpenrepublik Österreich propagierte sogar so etwas wie ein Menschenrecht auf Kunstmilch, das vom „Staat“ zu garantierten sei, damit „lebenserhaltende Lieferketten nicht zusammenbrechen“. 

 

Eigentlich reicht die Lieferkette nur von der Mutter bis zum Kind, und sie bricht auch in den seltensten Fällen zusammen.

 

WHO und Unicef plädieren deshalb dafür, die Bedingungen fürs Stillen zu verbessern, ihre Fachleute fordern sogar Warnhinweise auf den Packungen. Und da sollte es nicht nur um Cronobacter gehen, sondern auch um die zahlreichen anderen möglichen Folgeschäden.

 

Denn nachweislich drohe durch die Nahrung aus dem Fläschchen: ein höheres Sterberisiko durch Krankheiten wie Durchfall und Lungen-Infektionen, ein höheres Risiko durch Plötzlichen Kindstod, für Fettleibigkeit, Diabetes, Krebserkrankungen im Kindesalter, für Herzerkrankungen, geringere Intelligenz, Ohrinfektionen, Allergien, Asthma und Keuchhusten, Anfälligkeit für Vergiftungen. Unter anderem.

 

Kein Wunder: Wenn Babys wählen können, entscheiden sie sich für die Muttermilch. 

 

 

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