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Hunger

Eigentlich ist der Hunger das wichtigste Signal im Instrumentarium des Körpers zur Steuerung der Nahrungsaufnahme. Doch im 21. Jahrhundert ist die seltsame und zwiespältige Situation entstanden, dass er einerseits bei vielen Menschen vergeblich ruft: Für sie gibt es nicht genug Nahrung. Und bei den anderen gibt es so viel, dass sie Hunger schon gar nicht mehr wahrnehmen; ihr Körper ist für dieses Signal sozusagen taub. Die Folge: Er wird immer dicker. Mittlerweile leiden – und sterben - mehr Menschen auf der Welt an Übergewicht als an Hunger. Ganz offenkundig versagt das Ernährungssystem auf diesem Planeten: Für die einen stellt es nicht genug Nahrung zur Verfügung, und für andere die falsche: Das System von Hunger und Sättigung ist aus dem Gleichgewicht – individuell und im Weltmaßstab.

 

Dabei ist es evolutionär ganz gut angelegt, mit einem faszinierenden System aus Signalen und Abläufen.  Hormone und Botenstoffe lösen das Hungergefühl aus und sorgen dafür, dass es auch wieder aufhört.

 

Wichtig ist die Balance: Zu wenig essen ist ungesund, und zu viel essen auch. Doch einerseits kann sich eine große Zahl von Menschen auf der Welt die nötige Nahrung nicht mehr leisten. Und bei einer noch größeren Zahl stören die Inhaltsstoffe der Nahrung, der modernen Industrienahrung, das System. Sie werden dadurch zu dick – und krank.

 

Gesteuert wird das Hungergefühl vom Gehirn, genauer: vom sogenannten Hypothalamus. Im Magen-Darm-Trakt wird die Anregung formuliert, dass es langsam wieder Zeit wird zum Essen. Dann sendet der Magen eine Substanz ans Gehirn, das sogenannte Ghrelin, das »Guten-Appetit-Hormon«.

 

Die Steuerungszentrale, der Hypothalamus, die »Tankuhr im Hirn«, gleicht mit anderen Daten ab, dem Sättigungshormon Leptin, den Verarbeitungshormonen Insulin und Adiponectin, auch der Bauchumfang wird interessanterweise berücksichtigt, die vorhandenen Nahrungsbestände, der Aktivitätsstatus. Wenn wirklich Essensbedarf herrscht, werden appetitfördernde Botenstoffe abgegeben.

 

Durch verschiedene Stoffe in der industriellen Nahrung, etwa den sogenannten Geschmacksverstärker Glutamat, aber auch Hormonstörer wie etwa die sogenannten Plastikhormone kann das System gestört werden: Dann kommen falsche Signale im Gehirn an, die Nachrichten werden sozusagen manipuliert, die Menschen essen mehr, als sie brauchen, oder das Falsche.

 

Das System der Nahrungsversorgung ist weltweit aus dem Gleichgewicht. Hunger leiden die Menschen nicht nur in den ärmeren Regionen der Welt, auch in den Industriestaaten, etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika.

 

Auch in Mitteleuropa gibt es zumindest zeitweilige Unterversorgung – etwa bei Kindern: Viele Kinder kommen heute hungrig in die Schule. Dadurch leidet ihr Denkvermögen, die Konzentration und die Lernfähigkeit. Ein Drittel aller Kinder drückt die Schulbank mit leerem Magen, ergaben Studien in Deutschland. Sogenannte Lebensmittelwüsten (Food Deserts) breiten sich aus.

 

Zugleich gibt es ein völlig neues Phänomen: Unterernährung trotz Übergewicht. Denn die Westliche Ernährung, insbesondere die ultra-verarbeitete Nahrung macht zwar dick, aber bei gleichzeitigem Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen.

 

Dieser „versteckte Hunger“ (Hidden Hunger) ist für Chemiekonzerne und Pharmafirmen ein wirksames Marketingargument, willige Professoren sind ihnen behilflich, die Werbetrommel zu schlagen, etwa mit Kongressen, wie sie unter anderem der Hohenheimer Professor Hans Konrad Biesalski organisiert.

 

Nach Ansicht von Fachleuten wäre es natürlich besser, die Versorgung mit echtem, nährstoffhaltigem Essen zu verbessern, etwa durch die Traditionelle Ernährung, und zwar sowohl bei jenen, die (offenen oder versteckten) Hunger leiden, als auch bei den anderen, die ihn schon gar nicht mehr wahrnehmen.