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Vitaminisierung

Vitamine werden häufig nicht in natürlicher Nahrung, sondern als Pillen, Pulver oder Zusatz in der industriellen Nahrung eingenommen. Sie sind für die Food- und Pharma-Konzerne ein schönes Geschäft. Sie sollen die Nährstoffdefizite der industriellen Nahrung ausgleichen; zudem dienen sie häufig als Konservierungsstoff. Kritiker befürchten Gesundheitsrisiken durch Übervitaminisierung. Tatsächlich zeigen unabhängige Studien, dass allzu viele Vitamine das Leben eher verkürzen als verlängern. In einigen Ländern ist der Gesetzgeber daher gegen übervitaminisierte Nahrungsmittel vorgegangen. Auf globaler Ebene allerdings setzen sich Herstellerkonzerne mit Unterstützung ihnen nahestehender Professoren und auch internationaler Institutionen mit großem Erfolg für die Vitaminisierung von Nahrungsmitteln ein, als Maßnahme gegen die verbreitete Mangelernährung.

 

Oft dienen die Vitamine als vermeintlich harmlose Lebensmittelzusatzstoffe. Bei Salami und den gepökelten Würsten wird Vitamin C als Konservierungsmittel zugesetzt, um sie vor den Attacken aggressiver Sauerstoffmoleküle und der Bildung krebserregender Nitrosamine zu schützen. Oft wird die Salami auch noch mit Niacin (Vitamin B 3) getränkt, weil es so frische Farbtöne verleiht.

 

Margarine wird stets mit Vitamin E angereichert, damit ihre Fettsäuren nicht ranzig werden. Oft ist sie noch mit dem Vitamin A,  dem "Hochrisikovitamin", und Vitamin D, dem "Trendvitamin" geimpft, damit sie gegenüber der nährstoffreichen Butter nicht wie ein blasser Brotbefeuchter aussieht.

 

Im Brot finden sich oft ebenfalls zugesetzte Vitamine. Denn die industriellen Backmischungen werden meistens mit Vitamin C angereichert, um sie haltbar und »maschinentauglicher« zu machen.

 

Auch eigentlich unverdächtige Fleischspieße und Koteletts können ein Vitaminbad hinter sich haben. Selbst Schokolade, Weingummi, Kartoffelchips und andere Snacks sollen dank Vitamin-Zusätzen ein gesundes Image bekommen. Die Limonade ist oft knallig gelb, weil sie eine saftige Portion Beta-Carotin enthält. Und erfrischend sauer, weil sie mit Ascorbinsäure (Vitamin C) versetzt wurde.

 

Gang und gäbe ist es zudem, Babybreie mit Vitaminen anzureichern. Am liebsten mixen die Hersteller Vitamin C in den Brei. Größere Kinder nehmen mit Extra-Vitaminen und einem Plus an Mineralstoffen aufgepeppte Joghurts und Quarks, Säfte und Softdrinks, Kekse und Süßigkeiten zu sich.

 

Die Vitaminisierung ist natürlich auch ein Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit. Bei der Ermittlung des Vitaminbedarfs kooperiert die Europäische Union gern mit den Herstellern und der Konzernlobby, dem International Life Sciences Institute (Ilsi), so etwa bei dem EU-Projekt EURRECA: European Micronutrient Recommendations AlignedAligned, das bedeutet so viel wie: auf Linie gebracht. Es ging also darum, dass die europäischen Empfehlungen für die so­genannten Mikronährstoffe, also etwa die Vitamine, vereinheitlicht und so »auf Linie gebracht« werden, durch zusammenarbeit europäischer Hochschulen - und der Hersteller.

 

Ähnlich bei einem speziellen EU-Projekt zu Vitamin D, mit dem Kürzel FP7-613977-ODIN. Ausführlicher Titel: »Nahrungsbasierte Lösungen für optimale Vitamin-D-Versorgung und Gesundheit über das ganze Leben«. Beteiligt waren Mitarbeiter aus insgesamt 30 Institutionen aus 18 Ländern in Europa, darunter auch das deutsche Robert Koch-Institut, die oberste staatliche Stelle zur Seuchenbekämpfung in Deutschland, ebenso wie die Universität Freiburg und die Medizinische Universität im österreichischen  Graz. Als Partner dabei war aber auch der weltgrößte Vitaminkonzern DSM aus Holland,  der Fruchtzwerg-Konzern Danone, der Molkereigigant Friesland Campina. 

 

Zahlreiche Forscher an staatlichen Universitäten sind der Vitaminindustrie eng verbunden, etwa der Hohenheimer Professor Hans Konrad Biesalski. An seiner Hochschule sitzt sogar ein Firmenangehöriger des Vitamin-Weltmarkführers DSM auf einem offiziellen Lehrstuhl, der Vitaminforscher Peter Weber. Er ist »außerplanmäßiger Professor« am Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Uni und wird praktischerweise gleich vom Vitamin-Weltmarktführer DSM bezahlt, bei dem er parallel tätig ist. Auch seine Mailadresse läuft über den Vitaminkonzern.

 

Globale Instututionen wie etwa der Codex Alimentarius, gewissermaßen die Weltregierung in Sachen Lebensmittel,  werden von der Vitaminindustrie sehr erfolgreich beeinflusst. In der für Babynahrung zuständigen Unterabteilung, von der Bundesrepublik Deutschland als Gastgeberland betreut, sitzt in der offiziellen deutschen Delegation seit Jahrzehnten ein Lobbyist der Vitaminindustrie mit am Tisch.

 

Auf globaler Ebene propagieren die Vitaminkonzerne und die ihnen verbundenen Wissenschaftler mit großem Erfolg die künstliche Vitaminisierung von Nahrungsmitteln („food fortification“), als Mittel im Kampf gegen die Mangelernährung, unter den medienwirksamen Schlagwort des „Versteckten Hungers“ („Hidden Hunger“).

 

Kritiker bemängeln, dass den Armen damit nicht wirklich geholfen sei, und fordern besseren Zugang zu echtem Essen.