Vitamin C oder Ascorbinsäure ist wohl das prominenteste Vitamin – und das erste aus industrieller Produktion, an dem sozusagen die Marketinginstrumente entwickelt und geschärft wurden. Im Körper hat es tatsächlich wichtige Aufgaben: Es zählt zu den Antioxidantien fängt sogenannte freie Radikale und schützt so den Körper vor Krebs, Arteriosklerose, Rheuma und anderen Erkrankungen. Wer durch viele freie Radikale belastet ist, verbraucht mehr Vitamin C, wie etwa Raucher. Zu den weiteren Aufgaben des Vitamins gehört das Immunsystem, es trägt zur Stärkung bei, außerdem ist es an der Bildung von Binde- und Stützgewebe und damit an der Gesunderhaltung von Haut und Zahnfleisch beteiligt. Für die Herstellung der Hirnbotenstoffe Serotonin und Noradrenalin wird ebenfalls Vitamin C benötigt. Das Vitamin ist überaus empfindlich gegenüber Wasser, Sauerstoff, Licht und Hitze, die Verluste betragen bis zu 100 Prozent. Fertiggerichte und generell ultra-verarbeitete Nahrungsmittel enthalten daher oft weniger Vitamin C als Selbstgemachtes. Die industriell hergestellte Vitaminversion ist überdies weniger wirksam als die natürliche etwa aus Früchten. Lange galt, dass der Körper überflüssiges Vitamin C folgenlos ausscheide. Tatsächlich aber kann eine Überdosis auch für gesunde Menschen gefährlich werden.
Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht eine leichte Tendenz zu Überdosierung und mithin die Gefahr von Nebenwirkungen. Denn Ascorbinsäure wird als Antioxidans und Konservierungsstoffe derart massiv den industriellen Lebensmitteln zugesetzt, dass selbst Kartoffelchips und Salami zur Vitamin-C-Versorgung beitragen.
Umstritten sind die positiven Effekte zusätzlicher Vitamingaben, selbst die Wirkung bei einer simplen Erkältung, geschweige denn bei Schlimmerem: So kamen mehrere internationale Studien zu dem Schluss, dass weder Vitamin C, als Pulver oder Pillen genommen, noch Vitamin A und Vitamin E oder Beta-Carotin vor Krebs und Herzinfarkt schützen. Eine Studie mit 15.000 Ärzten hat gezeigt, dass die Doktoren, die zehn Jahre lang Vitamin C und Vitamin E genommen hatten, weder weniger Herzkrankheiten hatten noch seltener Krebs als die Kollegen, die wirkstofflose Tabletten genommen hatten.
Viele Menschen nehmen industrielles Vitamin C auch zu sich, ohne es zu wissen: Es wird (oft unter der Bezeichnung „Ascorbinsäure“ oder der Nummer E300) als Konservierungsstoff vielen industriellen Lebensmitteln zugesetzt.
Mit wachsendem Verzehr von Extra-Vitamin C mehren sich Berichte über Risiken und Nebenwirkungen. So geriet es in jüngerer Zeit in Verdacht, zu Schäden am Erbgut führen zu können.
Im Übermaß genossen kann es sogar zu Krebs führen. Es gibt Bedenken, dass es die Wirkung von Medikamenten gegen Krebs stört. Sicher ist, dass Krebszellen große Mengen an Vitamin C einlagern. So warnen Experten vor einer Einnahme bei bestehender Krebserkrankung. Als problematisch gelten in dieser Hinsicht bereits Dosen von 500 Milligramm pro Tag.
Vitamin-C-Mengen von mehr als 1000 Milligramm können zu Durchfall, blutigem Stuhlgang, Harnsteinen, Nierensteinen und sogar zu Unfruchtbarkeit führen.
Vitamin C fördert die Verwertung von Eisen, was als positiv gewertet wird, aber auch von Aluminium, was Demenzerkrankungen wie Morbus Alzheimer, aber auch das „Zappelphillipp-Syndrom“ ADHS begünstigen kann.
Schließlich können Vitamin-C-Präparate auch die Ergebnisse von Tests für Diabetes verfälschen.
Und Extra-Vitamin C greift, in hoher Dosis, auch das Herz an. Wissenschaftler aus Minnesota haben 1923 Frauen mit Diabetes 15 Jahre lang beobachtet. Diejenigen, die mehr als 300 Milligramm Vitamin C am Tag einnahmen, hatten ein fast doppelt so großes Risiko, an Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben, als die anderen.
In den USA erlitt ein 62 Jahre alter Mann mit fortgeschrittener Arteriosklerose einen Schlaganfall, weil er gleichzeitig mit einem blutverdünnenden Medikament zwei Gramm Vitamin C pro Tag geschluckt hatte. Die extrem hohen Vitamindosen hatten das Medikament außer Kraft gesetzt.
Die New York Times schrieb schon 1998: »Zu viel Vitamin C zu nehmen kann gefährlich sein.« Denn das vermeintlich harmlose Allerweltsvitamin könne zu »Schäden im Herzen« führen.
Das hatte Victor Herbert, Medizinprofessor an der New Yorker Mount Sinai School of Medicine, herausgefunden. »Das Vitamin C in den Supplementen« mobilisiere eine harmlose Eisenvariante, die im Körper gespeichert ist, und verwandle es in eine gefährliche Variante, die »dann zu Schäden führen« könne. Und das schon bei einem halben Gramm täglich.
Neuere Untersuchungen bestätigten seine Skepsis: Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse böten „wenig Unterstützung für den weit verbreiteten Einsatz von Vitamin C-Supplementen zur Senkung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder der Sterblichkeit.“ Die aktuelle Forschung deutet ganz im Gegenteil darauf hin, dass Extra-Vitamin C „mit einem höheren Sterblichkeitsrisiko“ durch solche Krankheiten verbunden sei. So ein Überblick von US-Forschern im Jahr 2016.
Vitamin C ist das Paradebeispiel für erfolgreiches Marketing, war sozusagen das Pionierprodukt auf diesem Feld. Dabei hatte selbst der erste Hersteller anfangs überhaupt kein Interesse an einer Vitaminproduktion, wie der Schweizer Medizinhistoriker Beat Bächi gezeigt hat (»Vitamin C für alle!«).
Der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche, der spätere Vitamin-Koloss im schweizerischen Basel, reagierte zunächst zwar ablehnend (»Eine direkte Verwendungsmöglichkeit von Vitamin C liegt heute noch nicht vor.«).
Doch bald schon entdeckte die Schweizer Konzernführung das Profitpotenzial des Vitamingeschäfts. Und gerade die Tatsache, dass niemand künstliche Vitamine braucht, begriff die Marketingabteilung als Herausforderung, so ein internes Papier der Firma. »Die Aufgabe lautete also: durch Propaganda“ überhaupt erst einmal „das Bedürfnis zu schaffen.«
Roche bat Ärzte um positive Gutachten: Man brauche Mediziner, um »dem äußerlich gesunden Patienten eine neue Krankheit anzudichten«.
Die Marketingleute kamen auf eine neue medizinische Kategorie, die heute noch zur Verkaufsförderung dient: die »Unterversorgung« mit Vitaminen. Mit etwas »Hokuspokus« sollte im Volk die Furcht vor dem »Gespenst der C-Vitaminose« erzeugt werden.
Der Kern der Marketingmaßnahmen war die Erzeugung des Bedarfs mit Hilfe des Medizinpersonals. Roche setzte aber auch Sportler ein – die siegreichen deutschen Kicker bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954, die »Helden von Bern«, ließen sich mit Vitamin C stärken. So glaubten sie jedenfalls.
Mittlerweile ist klar: Auch das war ein Sommermärchen. Denn Extra-Vitamin C stärkt den Körper nicht, sondern schwächt ihn. Diese Erkenntnis stammt von einem deutschen Forscher, der in der Schweiz forscht, an der weltweit renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich: Professor Michael Ristow.
Er arbeitet auch mit Kollegen von der berühmten amerikanischen Harvard Universität zusammen. Zum Beispiel bei jener Studie in den Proceedings of the National Academy of Sciences, mit der er weltweit Furore gemacht hatte. Sogar die New York Times hatte berichtet: »Vitamine schmälern den Nutzen von Sport«.
Die Versuchspersonen mussten vier Wochen lang über eine Stunde täglich ein genau definiertes Sportprogramm absolvieren. Die Hälfte von ihnen bekam Vitamin C und Vitamin E. Und dann kam der Schock: Mit den Vitaminen waren die positiven Effekte des Sports praktisch wie weggehext.
Denn die Vitamine hatten sozusagen die Selbstschutztruppen des Körpers ausgeschaltet. Die, die für die positiven Effekte des Sports verantwortlich sind: freie Radikale (auch ROS genannt, Reactive Oxygen Species).
Sie haben ein schlechtes Image, sind aber in Wahrheit Schutztruppen des Körpers, unter anderem bei der Bekämpfung von Krebs aktiv. Und wer ihnen in den Rücken fällt, sie gar ausschaltet, schadet dem Körper natürlich eher als ihm zu helfen.
Zwar sind sogenannte Antioxidantien wichtig beim Kampf gegen Krankheiten – und beim angemessenen Umgang mit den freien Radikalen. Aber die Vitamine aus natürlichen Früchten sind dabei wirksamer und zielführender als die Pulver und Pillen aus industrieller Produktion.
New Yorker Forscher fanden schon im Jahr 2000 heraus, dass die zellschützende Aktivität von 100 Gramm Apfel mit Schale, insgesamt mithin zwölf Milligramm Vitamin C, genauso groß ist wie bei 1500 Milligramm reinem Vitamin C. Der Grund: Im Apfel gibt es Hunderte andere Stoffe, die ebenfalls Wirkungen auf die Zellen und den Organismus haben.
Industrielle, insbesondere ultra-verarbeitete Nahrungsmittel aber haben erheblich weniger natürliches Vitamin C als traditionell hergestellte. So ergaben Messungen eines Hamburger Labors, dass hausgemachtes Kartoffelpüree doppelt so viel Vitamin C enthält (6 Milligramm pro 100 Gramm) wie das Püree. von Pfanni oder auch das in Pulver-Püreer in Bio (jeweils 3 Milligramm).
Natürliche Vitamin-C-Quellen (in Milligramm auf 100 Gramm Nahrungsmittel):
Guave 270
Petersilie 166
Paprika 140
Brokkoli 115
Rosenkohl 112
Blumenkohl 75
Kiwi 71
Grapefruit 60
Clementine 54
Zitrone 53
Orange 50
Tomate 25
Kartoffel, ungeschält/gekocht 15