Soo schön regenbogenbunt: Trendig bis der Arzt kommt.
Regenbogenfarben: Sie sind in aller Munde, und zwar buchstäblich, in Kuchen, Cupcakes, Bagels, in Muffins, Macarons und Süßigkeiten aller Art. Grundsätzlich gilt: Bunt ist gesund. Ganz anders, wenn Chemie im Spiel ist bei Rot, Weiß, Blau. Das schwächt die Immunkräfte, wie neue Untersuchungen zeigen. Eine beunruhigende Diagnose – gerade in Zeiten, da unsere Abwehr besonders gefordert ist.
„Lebensmittelfarbstoffe: Ein Regenbogen von Risiken“, titelte das USA-amerikanische Verbraucherorganisation Center for Science in the Public Interest (CSPI) schon früh, nachdem immer mehr Risiken entdeckt worden waren.
Bisher ging es vor allem um Krebsgefahren, auch um die Auswirkungen aufs Gehirn, um Allergien, Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität (ADHS).
Jetzt geht es auch um die Auswirkungen aufs Immunsystem. Denn chemische Zusätze wie etwa Farbstoffe spielen eine zentrale Rolle in der sogenannten "Westlichen Ernährung" - und werden damit gerade in bedrohlichen Zeiten zu Problemelementen für die globale Gesundheit.
Immunologen der Universität Bonn, die sich mit dem „Zusammenhang zwischen Immunsystem und SARS-CoV-2“ beschäftigen, warnen seit langem vor den schädlichen Folgen dieser „Westlichen Ernährung“ für die Abwehrkräfte, etwa weil sie chronische Entzündungen auslösen können.
Mehrere Studien haben den Immun-Verdacht erhärtet. Bei Emulgatoren im Eis oder Sahnedessert beispielsweise. Jüngst auch bei Süßstoffen etwa in Cola light. Die Chemikalien können das Milieu im Darm verändern, dem Hauptquartier des Immunsystems, und die Abwehrkräfte beeinträchtigen.
Jetzt geraten auch die Farbstoffe ins Visier. Denn gerade die knalligsten unter ihnen sind pure Chemie – und sorgen daher für Irritationen in der Körperabwehr.
Farbstoffe können eine „Entzündungskaskade“ auslösen, warnten Wissenschaftler, und deshalb „erhebliche immunologische Folgen haben“.
So ist das jedenfalls in der Welt der industriellen Nahrung. Da wird der Regenbogen zum Gefahrstoff. Denn er wirkt nicht nur als Symbol, sondern auch über seine Substanz, den chemischen Charakter seiner Elemente.
Ganz anders verhält es sich in der Natur. Hier gilt: Bunt ist gesund. Je diverser, desto besser. Je vielfarbiger das Essen, desto gesünder: So lautet die Faustregel der Ernährungsberaterinnen.
In der Welt der echten Lebensmittel dienen die Farben gewissermaßen als Lockstoffe, signalisieren, dass hier Wertvolles im Angebot ist, Vitamine und Mineralstoffe, die berühmten „Sekundären Pflanzenstoffe“.
Sie dienen der Krankheitsabwehr, kräftigen den Körper, halten ihn jung und schön, straffen die Haut, verhindern Falten, können sogar Krebs vorbeugen.
Die orangefarbenen Carotinoide zum Beispiel, die nicht nur in Karotten enthalten sind, sondern auch in Aprikosen, Bohnen und Brokkoli, Erbsen, Karotten und Kürbis, Mais, Paprika, Pfirsichen.
600 Carotinoide soll es geben, das bekannteste unter ihnen ist das Beta-Carotin. Sie fungieren als sogenannte Antioxidantien und helfen beispielsweise mit bei der Krebsabwehr.
Sogar als Sonnenschutzmittel können sie dienen, wie etwa das Lycopin in Tomaten und der Sauce Bolognese. Es soll auch anregend wirken, Herzleiden vorbeugen und auch der gefürchteten Augenkrankheit AMD (Altersbedingte Makuladegeneration).
Ähnlich vielseitige Wirkungen haben die anderen Buntstoffe, etwa der grüne Pflanzenfarbstoff Chlorophyll, der In Äpfeln, Birnen, Paprika steckt, ebenso in vielen anderen Früchten von Avocados bis zu Zucchini. Oder die blauen Anthocyane etwa in Heidelbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren und roten Trauben.
Besonders aufällig ist der Gegensatz zwischen natürlicher und künstlicher Farbe beim vermeintlich unschuldigen Weiß.
In der Naturversion dient das Weiß der Gesundheit: der helle Farbstoff Allicin, der unter anderem antibakteriell wirkt, ist Kennern vor allem aus dem Knoblauch vertraut, aber auch enthalten in Spargel Zwiebel, Fenchel, Blumenkohl, Sellerie, Pastinaken, Kartoffeln - und in den Schwarzwurzeln, die ja in Wahrheit (innerlich, in der verzehrten Zone) ebenfalls weiß sind.
Im maximalen Kontrast dazu: das industrielle Weiß.
Der einschlägige Farbstoff heißt: Titandioxid (E171). Und er verschönert keineswegs nur Speisen und Getränke.
Er findet sich in der Küche zum Beispiel auch an der Wand, denn er steckt in Malerfarben, aber auch im Mörtel.
Er ist auf Baustellen anzutreffen - aber auch auf Kindergeburtstagen , wie die Verbraucherorganisation Foodwatch enthüllt hatte, bei Produkten des Traditionskonzerns Dr. Oetker, dessen "Backmischung Streuselkuchen" etwa, den "Lustigen Zuckeraugen" im "Fix & Fertig Zuckerguss Classic" und der "Dekor Kreation Rosa Mix".
Der Hersteller, peinlich getroffen. stoppte die Verwendung,
Schließlich ist der Stoff in Frankreich seit 2020 verboten.
So weit wollen die deutschen und die europäischen Behörden bis jetzt nicht gehen. Aber immerhin hat die EU-Kommission entschieden, dass der wichtigste weiße Farbstoff künftig einen Warnhinweis tragen soll.
Die deutschen und auch die europäischen Lebensmittelwächter waren im Mai 2021 zu dem Schluss gekommen, „dass die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr länger als sicher angesehen werden kann.“
Auch hier haben Studien Effekte im Immun-Hauptquartier nachgewiesen, dem Darm. Auch „neurotoxische“ Nebenwirkungen wurden beobachtet, also Giftwirkungen aufs Gehirn.
Ähnlich ist es bei den anderen Regenbogenfarben aus Supermarkt oder Internet.
In erster Linie sind nach wie vor Kinder betroffen, aber neuerdings natürlich auch alle Freund*innen der saisonalen Trendfarben aus dem Spektrum des Regenbogens.
Etwa das knallige Brillantblau FCF (E133). Ein reiner Designerstoff, den es in der Natur nicht gibt. In Deutschland war er lange verboten, ist aber im Zuge der EU-Harmonisierung seit 1998 wieder zugelassen.
Eine neue Studie, die im September 2021 erscheinen soll und vorab im Internet veröffentlicht wurde, hat gezeigt, dass auch dieses Brillantblau die Immunabwehr stören kann (wie übrigens auch der Geschmacksverstärker Glutamat). Angesichts der weiten Verbreitung dieser Zusätze, forderten die Forscher, sollten die eingesetzten Mengen "auf ein Minimum reduziert werden".
Schon seit längerem ist überdies bekannt, dass die Designerfarbe für Allergiker zum Problem werden kann, asthmatische Reaktionen auslösen. In Reagenzglas- und Tierversuchen mit Ratten schädigte sie in hohen Dosen die Gene und störte den Energiehaushalt der Körperzellen.
Und er kann sogar zur Gefahr fürs Gehirn werden: Damit er knalliger erscheint, kann E133 auch Aluminium enthalten, das bekanntlich im Verdacht steht, unter anderem die Alzheimerkrankheit zu fördern (Aluminiumfarblacke).
Dieses Brillantblau steckt in vielen strahlend bunten Regenbogenbackwerken, auch den Schokolinsen von M&M's, auch in anderen süßen Leckereien wie dem Wassereis Bussy Schleck Drink Blau Bär Waldbeer blau oder der lustigen Look O Look Candy Pizza, einer "Kreation aus Fruchtgummi und Schaumzucker im original Pizzakarton", 435 Gramm bei Amazon für schlappe 8,25 Euro erhältlich.
Das blaue E133 färbt auch andere Produkte, bei Amazon etwa die „Kaugummi Kugeln in Wassermelonen Optik mit saurem Brausepulver“ für 10,99 Euro, den RUF Funfetti Blechkuchen mit buntem Konfetti zu 3,69 Euro. Oder die Pastillen Marke Smint („4 Geschmacksrichtungen für langanhaltenden frischen Atem“). Selbst im coolen grünen japanischen Meerrettich, dem bei Sushi-Freunden beliebten Wasabi, steckt das ominöse Blau. Aber auch in einem vermeintlich gesunden Nahrungsergänzungsmittel (Hepar-SL 640 mg Artischockenblätter-Trockenextrakt Filmtabletten) 100 Tabletten für stolze 52,47 Euro.
Die verzehrte Menge ist da selbstverständlich nicht akut gefährlich. Es sei denn, man kauft die Stoff bei Amazon in der Pur-Version ("extrem hoch konzentriert") und kippt ihn dann runter.
Davor warnen einschlägige Datenblätter ausdrücklich. Bei der „Aufnahme durch Verschlucken“ raten sie zu „Erste-Hilfe-Maßnahmen“, etwa den „Mund ausspülen“, und: bei „Unwohlsein Arzt anrufen.“
Ähnlich bei jenem Regenbogengelb, das es ebenfalls „extrem hoch konzentriert“ per Klick bei Amazon gibt: die „Lebensmittelfarbe Gelb E102“
"Nach Verschlucken", rät hier das Sicherheitsdatenblatt, sollte man den "Mund mit reichlich Wasser ausspülen, falls die betroffene Person bei Bewusstsein ist", und sie sicherheitshalber "ärztlicher Behandlung zuführen."
Dieses Gelb heißt: Tartrazin (E102).
Es gehört, und da zucken Kenner vor Schreck zusammen, zu den berüchtigten Azofarbstoffen, ebenso wie weitere Regenbogenfarben, etwa Gelborange-S (E110) Azorubin (E122) Cochenillerot A (E124) Allurarot AC (E129).
Diese Azofarbstoffe waren früher als Teerfarben bekannt, nach dem Rohstoff, aus dem sie gewonnen wurden: Steinkohleteer. Sie sind seit langem als Krebserreger in Verdacht, waren in Deutschland, Österreich und der Schweiz verboten, auch den skandinavischen Ländern, und wurden erst auf Druck der Europäischen Union (EU) erlaubt.
Wegen einschlägiger Nebenwirkungen müssen sie einen Warnhinweis tragen: “Kann Aktivität und Aufmerksamkeit von Kindern beeinflussen”.
Angesichts der wachsenden Kritik an ihren schönen bunten Farben arbeitet die Nahrungs- und Süßwarenindustrie intensiv an Ersatzlösungen. Ihre Zulieferer preisen ihre Innovationen: „Natürliche“ Ersatzstoffe. Auch die Gummibärchenfirma Haribo setzt sie schon ein.
Der Vorteil, aus Sicht der Konzerne: Diese Zusätze haben keine hässliche E-Nummer. Sie müssen oft nicht einmal ausgewiesen werden. Es handelt sich, streng nach EU-Vorschriften, nicht einmal um Zusatzstoffe, sondern um „Lebensmittel“. Auch wenn sie manipuliert, verändert, konzentriert werden und somit völlig andere Eigenschaften haben.
Clean Label heißt das Zauberwort: das Saubere Etikett.
Ganz sauber ist die Lösung allerdings nicht, jedenfalls aus Sicht der Verbraucher. Denn der Nachteil ist: Es gibt keinerlei Zulassungsverfahren. Und leider auch keine Gesundheitsprüfung.
Dabei können Elemente aus der Natur nachweislich ihren Charakter verändern, wenn sie isoliert und massenhaft verabreicht werden. Und klar ist auch, dass solche Veränderungen gesundheitliche Folgen haben können.
So kann das berühmte Beta-Carotin, in echten Karotten unzweifelhaft gesund, isoliert und konzentriert möglicherweise krebserregend wirken. Ebenso die (oft gelben) Flavonoide. Als Farbelemente in echten Lebensmitteln sind sie unwiderstehlich und gesundheitsfördernd: Sie sollen das Gedächtnis verbessern, antibakteriell und antiviral wirken, vor Herzleiden schützen und sogar vor Krebs – isoliert und im Übermaß können sie allerdings auch Krebs fördern.
Besser als solche pseudo-"natürlichen" Farben sind mithin die echten bunten Lebensmittel, der Regenbogen aus Auberginen, Tomaten und Paprika, rot, gelb, grün, Brokkoli, Erdbeeren, Blaukraut und Blaubeeren, Bananen, Orangen, Mandarinen, Kirschen, Kiwi, Zwetschgen, Karotten, Kürbis.
Sie stärken übrigens auch das Immunsystem, wie neue Studien ergeben haben, und passen damit allerbestens in Zeiten, die die Abwehr besonders herausfordern.