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Darm

Es ist das Organ, das für schöne Gefühle sorgt, für klare Gedanken, und gute Gesundheit. Jedenfalls dann, wenn es gut behandelt wird – und richtig versorgt. Der Darm ist ein Organ, das lange unterschätzt worden ist. Dabei hat er zentrale Bedeutung: Er ist für die Verarbeitung der Nahrung zuständig, die uns am Leben erhält. Auch für die Verteidigung, denn hier hat das Immunsystem sein Hauptquartier. Er erzeugt auch körpereigene Drogen, und damit die Gefühle. Und er ist ganz entscheidend für die Intelligenz, das Geistesvermögen. Manche sprechen schon vom Zweiten Gehirn unten im Bauch, dem Darmhirn. Und: er gehört zu den besonders gefährdeten Zonen, denn hier landet die Nahrung, die heute immer mehr zum Problem wird für seine Funktionsfähigkeit.

 

Denn mittlerweile kommen da immer mehr Sachen an, mit denen der Darm schwer zu kämpfen hat. Keine Gaben der Natur, sondern Industrieprodukte aus Fabriken: Fastfood, Softdrinks, chemische Zusatzstoffe. »Noch nie während der Evolution« habe das menschliche Mikrobiom einen solchen „Ansturm“ artwidriger Elemente erlebt, sagt Professor Emeran Mayer, ein gebürtiger Bayer, der in Los Angeles lebt und forscht.

 

Der Darm ist überraschenderweise das Körperteil mit dem größten Kontakt zur Außenwelt - was an der großen Oberfläche der Darmwand liegt. Seine Oberfläche ist mit 250 bis 400 Quadratmetern mehr als doppelt so groß wie die Lunge und hundertmal größer als die Hautoberfläche – und sogar größer als ein Tennisplatz.

 

Je nach Hunger und Verzehrgewohnheiten wandern im Laufe eines 75jährigen Lebens 30 bis 60 Tonnen Nahrung durch seine Kanäle, bei Amerikanern gar bis zu 100 Tonnen. Hinzu kommen 50.000 Liter Flüssigkeit.

 

Alles wird verarbeitet von den Bakterien dort, an die 100 Billionen sollen es sein, bis zu 36.000 Arten. Gesamtgewicht: an die zwei Kilo. Der Darm ist auch das schlagkräftigste Immunorgan des Körpers. Über 70 Prozent der Abwehrkräfte sind dort stationiert, Killer-Zellen, Fress-Zellen, T-Zellen, B-Zellen.

 

Die Darmwand gilt zwar als die effektivste Verteidigungslinie des Körpers, obwohl sie sie nur wenig dicker ist als die Haut bei einem Frankfurter Würstchen. Bei vielen Menschen ist sie allerdings angegriffen, nicht mehr ganz dicht: Das Leaky Gut Syndrom, der durchlöcherte Darm ist schon ein weit verbreiteten Krankheitsbild - mit gefährlichen Folgen: denn durch den durchlöcherten Schutzwall können Krankheitserreger, Allergene, oder auch psychoaktive Substanzen leichter in den Körper und schließlich ins Gehirn eindringen.

 

Wenn immer größere Anteile des Nahrungsangebots immer weiter entfernt sind von der Natur, dann steigt auch die Gefahr fürs Hirn, fürs Kopfhirn. Durch die „ultra-verarbeitete Nahrung“ zum Beispiel, jene Extremform von Industrienahrung, die mit traditionellen Lebensmitteln kaum noch etwas gemein hat – und im Darm deshalb ein völlig neues Milieu schafft, eine „Umgebung“, wie es in einem Artikel aus dem Jahr 2020 in der Ernährungs-Fachzeitschrift Nutrition heißt, die zu ständigen Entzündungen führt und dadurch „die Entwicklung neurodegenerativer Krankheiten begünstigt“.

 

Immer klarer und detaillierter sehen die Mediziner die Zusammenhänge zwischen dem „derzeitigen Fütterungsmuster“, den dadurch erzeugten Missständen im sogenannten Mikrobiom, unter den Bakterien im Darm, „und deren Einfluss auf die Entwicklung des kognitiven Verfalls.“

 

Und nicht nur das: Die Störungen im Immunsystem durch falsche Nahrung können auch zu Überreaktionen führen, zu Allergien, die immer mehr Kinder und auch Erwachsene belasten: „Die zunehmend industriell verarbeitete westliche Nahrung, in Kombination mit Einflüssen auf die Darmbakterien, könnte zur erhöhten Verbreitung allergischer Erkrankungen beitragen“, meinen die Medizinerinnen Isabel J. Skypala aus London und Berber J. Vlieg-Boerstra aus Amsterdam in einem gemeinsamen Beitrag für die Zeitschrift Current Opinion in Clinical Nutrition and Metabolic Care.

 

Es sind multiple Belastungen für die Bakterienpopulation um menschlichen Zentralorgan.

 

So fehlt es zum Beispiel in der veränderten Nahrungskette an Ballaststoffen. Unsere Vorfahren haben noch 100 Gramm Ballaststoffe am Tag gegessen, heute sind es in modernen Industriegesellschaften nur noch 15 bis 20 Gramm. Denn die modernen Supermarktprodukte haben leider nur wenig davon. Apfelsaft, zum Beispiel, hat nur 0,25 Gramm Ballaststoffe, ein richtiger Apfel hingegen 17,7 Gramm. Ähnlich ist es bei der Orange: Sie hat sechsmal so viel Ballaststoffe (3,14 Gramm) wie Orangensaft (0,50 Gramm).

 

Ballaststoffe sind so etwas wie die Lieblingsspeise der guten Mikroben. Sie produzieren damit freudig kurzkettige Fettsäuren, die sich positiv auf mentale Prozesse auswirken sollen.

 

Der Darm ist auch bedroht durch Krankheitserreger, wie Salmonellen, durch Bakterien vom Typ Campylobacter oder EHEC (Enterohämorrhagische Escherichia coli).

 

Auch die chemischen Zusatzstoffe in der Nahrung können die Darmfunktionen beeinträchtigen, Chemikalien zum Beispiel, die zur Ausbreitung von Problem-Mikroben führen. Die können dann eine Kettenreaktion auslösen, die zur Gefahr für Geist und Psyche werden kann, zur Bedrohung für die intellektuelle Kompetenz und die emotionale Stabilität.

 

Zum Beispiel eine Art von aggressiven Bakterien, die britische Forscher einst im Flussschlamm und dann im menschlichen Darm aufgespürt hatten, die Kleinstlebewesen vom Stamme Desulfovibrio.

 

Sie lieben Schwefel und vermehren sich daher besonders prächtig bei Menschen, die davon viel im Darm haben, zum Beispiel, weil sie gern Sachen mit schwefelhaltigen Zusatzstoffen zu sich nehmen: das Kartoffelpüree aus der Tüte, oder den Salat von McDonald’s. Die sogenannten Sulfite sind unglaublich weit verbreitet, in der Europäischen Union für 61 Lebensmittelgruppen zugelassen, von Marmelade und Süßwaren bis zu Senf.

 

E223 zum Beispiel, ein Stoff namens Natriumdisulfit (oder auch Natriummetabisulfit), ist etwa in Kartoffelpüree-Pulver enthalten, aber auch in Trockenfrüchten.

 

Es gibt zahlreiche andere künstliche Zusätze, die es in echter Nahrung im Verlauf der Evolution niemals gab – und die es mittlerweile aber massenhaft in die Nahrungskette geschafft haben. Zum Beispiel den Emulgator mit dem Zusatzstoff-Kürzel E466 (Carboxylmethylcellulose oder Natrium-Carboxymethyl-Cellulose).

 

Er wird aus Holz gewonnen, aber auch aus Baumwolle und Maisstängeln, durch Behandlung mit Alkohol und Lauge entsteht daraus ein zugelassener Zusatzstoff, der nicht nur im Eis eingesetzt wird, sondern auch in Kuchen und Keksen, in Fertigbackmischungen, in Backzutaten, auch cremigen Fertigsuppen, Dips, Dressings, Mayonnaise, Schmelzkäse, in Pasteten, Fischstäbchen, in Sahne, Jogurts, Puddings sowie in Geleefrüchten und Marmelade verwendet wird. Solche Zusätze kommen auch in veganen Fleischersatzprodukten zum Einsatz (Imitate).

 

Oder E433 (Polysorbat 80 oder Polyoxyethylen(20)-Sorbitan-Monooleat). Er wird chemisch aus Sorbit (E420), Fettsäuren und Alkohol hergestellt: Ein vollkommen künstlicher Designerstoff,  der schaumig locker geschlagene Lebensmittel stabilisiert, wie zum Beispiel Sahne, Eiscreme oder Cremepuddings.

 

Forschergruppen um Emilie Viennois und Benoit Chassaing haben sich ausgiebig mit den Stoffen beschäftigt - und ihren Folgen auf den Darm. Da ging es um Krebs, aber auch um psychische Veränderungen.

 

Denn diese E-Stoffe veränderten die Bakteriengemeinschaft im Darm, dadurch auch den Ausstoß an körpereigenen Drogen, sogenannten Neuropeptiden, und können damit die Psyche „negativ beeinflussen“, wie die Wissenschaftler schrieben, etwa Ängstlichkeit fördern, das soziale Verhalten stören. 

 

Auch viele andere Zusatzstoffe können die Verhältnisse im Darm stören und mithin solche Fernwirkungen aufs Gehirn haben.

 

So zum Beispiel weit verbreitete Süßstoffe wie Saccharin (E954), Sucralose (E955), href="https://food-detektiv.de/lexikon/?lex_st=0&lex_search=aspartam#ergebnis">Aspartam (E951), Neotam (E961), bei denen diverse Studien eine schädliche Wirkung aufs Mikrobiom im Darm gezeigt haben. Ähnlich bei anderen Süßungsmitteln wie E421 (Mannit), E966 (Lactit) und E953 (Isomalt).

 

Guarkernmehl (E412) fördert die Aufnahme größerer Partikel durch die Darmwand. Von Sorbitanmonolaurat (E493) und Sorbitanmonooleat (E494), die dem Darm ebenfalls schaden sollen, nehmen nach einem Bericht der EU-Kommission vor allem Kinder mehr als das Sechsfache dessen zu sich, was gerade noch akzeptabel wäre.

 

Praktisch allgegenwärtig ist ein Stoff namens Carrageen (E407). Er kann unter anderem zu Darmgeschwüren führen, fürchten Kritiker wie die Professorin Joanne Tobacman, Krebsforscherin an der Universität von Illinois in Chicago. Er steckt in praktisch jeder Sahne (außer Bio), auch in industriell hergestellten Sahnesoßen, in Milch Shake, in Puddingprodukten für Kinder, vielen Desserts aus dem Kühlregal im Supermarkt, aber auch veganen Industrieerzeugnissen.

 

Bei manchen Wissenschaftlern und auch in der Öffentlichkeit wächst die Besorgnis angesichts solcher Gefahrstoffe fürs Gehirn. Doch Politik und Aufsichtsbehörden reagieren keineswegs mit der gebotenen Entschiedenheit und Konsequenz.

 

So etwa bei einem Farbstoff, der die Darmflora schädigen kann, Entzündungen im Darm fördern – und damit Störungen und Schäden im Gehirn.

 

Der Stoff heißt Titandioxid und hat die Chiffre E171. Er dient in Industrienahrung als weißer Farbstoff, etwa bei Kaugummis, Backzutaten und Backwaren.

 

Der Konzern Dr. Oetker stoppte die Verwendung, nachdem die Verbraucherorganisation Foodwatch enthüllt hatte, dass die Firma den Weißmacher für „typische Kindergeburtstag-Produkte“ einsetzt.

 

Frankreich hat als erstes europäisches Land den Stoff seit 2020 vorerst verboten. 

 

Doch trotz der entschiedenen Haltung der französischen Lebensmittelwächter vertritt die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa die Auffassung, dass die verfügbaren Daten "keine Hinweise" auf Gesundheitsbedenken gäben.

 

Als positiv für das Milieu im Darm gilt demgegenüber die traditionelle Ernährung. Echtes Obst, echtes Gemüse ist wegen der Ballaststoffe gut, der Vitamine und sonstigen Nährstoffe. Und interessanterweise auch, weil sie der Körper als potenziell gefährlich einstuft – und seine Immuntruppen schon mal in Stellung bringt.

 

Auch die mediterrane Ernährung scheint förderlich – inklusive Wein.

 

Und traditionelle bakterienhaltige Nahrung: Das koreanische Kimchi zum Beispiel, eingelegtes Gemüse, beherbergt Bakterien, ganz ähnlich wie Sauerkraut, Kefir oder Kombucha. Und natürlich: Joghurt.