Glutamat ist der Nahrungsbestandteil mit den vermutlich weitreichendsten Auswirkungen auf das Leben der Menschen, als ein natürliches Element in vielen Lebensmitteln und wichtigster Zusatzstoff der globalen Nahrungsindustrie. Offiziell gilt die Substanz als unbedenklich, trotz zunehmender Hinweise auf zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen bei massenhafter industrieller Anwendung.
Die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa hat zwar keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Verwendung als Nahrungszusatz, hält jedoch die Verzehrmengen für zu hoch, forderte schon eine Verschärfung der geltenden Vorschriften. Denn die industrielle Produktion hat die Verzehrmengen massiv gesteigert - und damit auch die gesundheitlichen Risiken.
Die Hersteller und ihnen nahestehende Wissenschaftler sind hingegen von der Harmlosigkeit überzeugt.
Glutamat dient im menschlichen Organismus, vor allem im Gehirn, als einer der Botenstoffe, kann als Nahrungszusatz nach Ansicht von Kritikern zu Fehlsteuerung und damit etwa zu Übergewicht führen.
Der Zusatz wird auch mit zahlreichen neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht, wie Alzheimer, Parkinson, Chorea Huntington, Amyotrophe Lateralsklerose und Multiple Sklerose, auch der sogenannten Fibromyalgie.
Er soll überdies das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen und sogar schädliche Wirkungen haben auf die Fortpflanzungsorgane, bei Männern wie Frauen,
Da Glutamat ein wichtiger Neurotransmitter im Körper ist, zuständig für die Übertragung von Signalen, ist es kein Wunder, dass geringe Dosen auch positive Wirkungen haben können, etwa im Verdauungstrakt, größere Mengen aber schaden.
Der Stoff kann auch das sogenannte Chinarestaurant-Syndrom auslösen, gekennzeichnet durch Taubheitsgefühle in den Armen, Kribbeln am Hals, Schmerzen in Brust und Nacken, auch Kopfschmerzen, Herzklopfen, sogar Schwindel und Muskelkrämpfe.
Er kann auch zu Bauchkrämpfen führen, zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Auch der sogenannte Cluster-Kopfschmerz kann von dem Zusatzstoff ausgelöst werden.
Zahlreiche Studien ergaben, dass Glutamat auch dick machen kann. Der Geschmacksstoff beeinflusst die Abläufe in bestimmten Gehirnregionen, die für die Regulierung des Appetits zuständig sind, die Nahrungsaufnahme und Sättigung steuern.
Ein Medikament gegen Alzheimer („Memantin“) wirkt daher zugleich auch als Ess-Bremse: Die Patienten entwickelten unter Einfluss des Medikaments weit weniger Appetit - weil es die Glutamat-Rezeptoren im Gehirn blockiert.
Glutamat hat auch wichtige Aufgaben bei der Schmerzübertragung, bei der Steuerung des Körperwachstums, ja sogar der Fortpflanzung: Glutamat ist der wichtigste Botenstoff im sogenannten Hypothalamus, jener Region tief drinnen im Kopf, die häufig als „Gehirn des Gehirns“ bezeichnet wird. Von hier aus werden zentrale Körperfunktionen geregelt, Gefühle und Körperreaktionen aufeinander abgestimmt, Wahrnehmungen gesteuert, der Körper gewissermaßen regiert - meist weit unterhalb der Bewusstseinsschwelle.
In vielen Nahrungsmitteln ist Glutamat von Natur aus enthalten: In Tomaten, Eiern, Rindfleisch, sogar in der Muttermilch. Sie enthält 22 Milligramm pro 100 Gramm, Sojasauce enthält 1090 Milligramm, Parmesan gar 1200.
Die industrielle Produktion aber steigt stetig: im Jahr 1976 waren es weltweit 262 000 Tonnen, 2018 an die 5 Millionen Tonnen.
Das weiße Pulver ist in vielen Fertigsuppen, Soßen, salzigen und würzigen Sachen enthalten. Es schmeckt intensiv würzig, »umami«, wie die Japaner sagen, was »köstlich« bedeutet. Der sogenannte Geschmacksverstärker ist beliebt bei den Food-Konzernen, weil er Geschmack billiger macht.
Unter folgenden Bezeichnungen kann der Geschmacksverstärker auf dem Etikett erscheinen:
Glutamat (E620)
Mononatriumglutamat (E621)
Monokaliumglutamat (E622)
Calciumglutamat (E623)
Monoammoniumglutamat (E624)
Magnesiumglutamat (E625)
Es kann allerdings auch unter der Bezeichnung »Würze« geführt werden, oder auch als »Geschmacksverstärker«. Es kann auch unter vielen anderen Bezeichnungen auftauchen: Wenn "Aroma" draufsteht, können bis zu 30 Prozent reines Natriumglutamat enthalten sein. Auch wenn »Carrageen« angegeben ist oder »Maltodextrin«, »Weizenprotein« oder gar »Trockenmilcherzeugnis«, kann Glutamat seine Wirkung entfalten.
Biologische-Lebensmittel (Bio) enthalten kein Glutamat. Es ist dort getarnt, als »Hefeextrakt«. Das enthält von Natur aus Glutamat und kann nach Angaben eines Herstellers zu den gleichen Unverträglichkeitsreaktionen führen.
Offiziell gilt Glutamat als harmlos: Das Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat »keine Bedenken« gegen die gelegentliche Verwendung geringer Mengen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) meint sogar, selbst bei häufigem Verzehr größerer Mengen sei »kein schädigender Einfluss« zu erwarten.
Dass der umstrittene Geschmacksverstärker trotz zahlreicher Hinweise auf Risiken und Nebenwirkungen von Medien und auch Fachgesellschaften entlastet oder gar befürwortet wird, ist auch dem Engagement der Herstellerlobby und wohlmeinenden Professoren zu verdanken, die immer wieder hochwirksame Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellen, auf die dann Medien, Experten und auch die Nahrungshersteller gern verweisen.
Wegweisend etwa war ein in sogenanntes »Hohenheimer Konsensusgespräch« zum Thema Glutamat ,zu dem sich hochrangige Professoren im Jahr 1996 in der Universität Stuttgart-Hohenheim versammelt hatten.
Konsens war, dass Glutamat »auch in hohen Dosen keine spezifischen Nebenwirkungen aufweist«.
Was niemand wusste (bis es in einem Buch von Hans-Ulrich Grimm enthüllt wurde): Die Expertenrunde fand auf Wunsch des Glutamat-Weltmarktführers Ajinomoto zusammen, vermittelt über den Glutamat-Informationsdienst im hessischen Kronberg, bezahlt wurde schließlich vom Verband der europäischen Glutamathersteller (Comité des Fabricants d’ Acide Glumatique de la Communauté Européenne, kurz COFAG)
Der Hohenheimer Professor Hans Konrad Biesalski bot den interessierten Industriekreisen solche Konsensrunden jahrelang gegen Bezahlung an.
2007 wurde ein »Update« veröffentlicht, demzufolge sogar ein Pfund Glutamat pro Tag für einen Erwachsenen völlig unbedenklich sei. Sprecher der neuen Runde war Professor Peter Stehle, damals Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), er musste auch ein Versehen einräumen: Ursprünglich hatte die Runde sogar über ein Kilogramm am Tag für unbedenklich erklärt – und erst nach Hinweisen von DR. WATSON korrigiert.
Inzwischen hat sich die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa eingeschaltet, die häufig als sehr industrienah kritisiert wird – aber im Falle Glutamat überraschenderweise massive Bedenken angemeldet und sogar gesetzliche Beschränkungen eingefordert hat.
Sie hat die vorliegenden Daten durchforstet und festgestellt, dass Glutamat im Übermaß tatsächlich erhebliche Schäden anrichten kann, dass zudem mehr Menschen betroffen sind als bisher gedacht, vor allem die Freunde industrieller Nahrung, darunter bedenklich viele Kinder.
In ihrer Stellungnahme raten die Efsa-Experten zu einer „Revision der zulässigen Höchstwerte“, weil manche Konsumenten Mengen verzehren, „die für einige Bevölkerungsgruppen mit schädlichen Wirkungen verbunden sind“.
Die europäischen Lebensmittelwächter stießen damit natürlich auf heftige Kritik der Lobby: Das International Glutamate Technical Committee rief industrienahe Professoren 2018 zu einem Workshop zusammen, und sie kritisierten die Efsa-Position scharf:
Beteiligt war unter anderem der einflussreiche deutsche Kinderernährungsspezialist Professor Berthold Koletzko und auch die holländische Professorin Ivonne M.C.M. Rietjens, die früher selbst Efsa-Expertin war.
Von überhöhten Verzehrmengen könne keine Rede sein, meinten sie in einer Stellungnahme, und verwiesen auf jenen umstrittenen Glutamat-Konsens von 2007, demzufolge selbst ein Pfund Glutamat am Tag für einen Erwachsenen unschädlich sei.
Auch das eine Menge, die gefährlich nahe an der tödlichen Dosis liegt, nach Ansicht von unabhängigen Wissenschaftlern – die aber leider zu solchen Konsensrunden nicht eingeladen werden.
Glutamat: Die weiße Gefahr? Der umstrittene Geschmacksverstärker hat auch mächtige Fürsprecher.