Offiziell gelten Zusatzstoffe als unbedenklich. Doch neue Forschungen zeigen: Mit wachsenden Verzehrsmengen werden die chemischen Zusätze im Essen immer öfter zum Gesundheitsrisiko. Die Nebenwirkungen wiegen dabei weit schwerer als vermutet. Von vielen dieser Zusätze verzehren vor allem Kinder mehr, als ihnen gut tut (ADI). Bei vielen Zusatzstoffen sind ab einer gewissen Menge Nebenwirkungen nachgewiesen. Bei Bio sind weniger Chemikalien zugelassen.
Bei echten Lebensmitteln und bei traditioneller Zubereitung gibt es keine Zusatzstoffe. Gebraucht werden sie nur für die industrielle Nahrungsproduktion unerlässlich. Denn in der Welt der Fabriken und Supermärkte müssen die Nahrungsmittel billig sein und widernatürlich lange halten, was nur mit den Mitteln der Chemie möglich ist. Und das hat seinen Preis.
Geschmacksverstärker wie etwa Glutamat stehen in Verdacht, zu Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson beizutragen. Farbstoffe können zu Hyperaktivität und Lernstörungen führen (ADHS). Auch Migräne kann von Lebensmittelzusätzen ausgelöst werden. Süßstoffe wie Aspartam stehen sogar unter Krebsverdacht. Konservierungsstoffe können den Darm schädigen und das Immunsystem stören. Zitronensäure kann die Zähne angreifen, und schädliche Metalle wie Aluminium ins Gehirn transportieren. Industrielles Aroma kann dick machen. Phosphate können den Alterungsprozess beschleunigen, und Krankheiten früher auftreten lassen wie Herzleiden, Bluthochdruck, die Knochenschwäche Osteoporose.
Es sind Risiken, die der Mensch selbst geschaffen hat. In der Natur gibt es keine Zusatzstoffe. Viele wurden eigens konstruiert, maßgeschneidert für die Bedürfnisse der Food-Fabriken, gleichsam am Reißbrett, als reine Designerstoffe, ohne jedes Vorbild in der Natur. Manche der verwendeten Substanzen kommen auch in der Natur vor – doch durch die Verwendung als Zusätze explodieren die Verzehrsmengen.
Fest steht: Wer davon nur wenig isst, und von robuster Konstitution ist, hat nichts zu befürchten. (Bei Allergikern kann ein Milligramm vom Falschen allerdings schon tödlich sein.)
Die Zusatzstoffe werden nur in winzig kleinen Dosen eingesetzt. Doch zum einen wurden immer mehr Stoffe zugelassen, und zudem werden die einzelnen Zusatzstoffe in immer größeren Mengen produziert. Phosphate beispielsweise werden in einer Menge von über 300.000 Tonnen weltweit jährlich als Lebensmittel-Zusatzstoffe eingesetzt. Bei den Süßstoffen sind es 750.000 Tonnen. Zu den Rekordhaltern gehört die Zitronensäure: Etwa 3 Millionen Tonnen werden pro Jahr weltweit produziert, das meiste davon für Nahrungsmittel. Bei Glutamat sind es sogar 3,3 Millionen Tonnen.
Überraschenderweise können sich die Effekte der einzelnen Chemikalien durch die gemeinsame Verabreichung vervielfachen. Das zeigte unter anderem eine Studie der Universität Liverpool mit den zwei Farbstoffen E104 (Chinolingelb) und E133 (Brillantblau), dem Geschmacksverstärker Glutamat (E621), und der Süßstoff Aspartam (E951).
Die britischen Wissenschaftler hatten im Labor den Einfluss der Zusatzstoffe auf das Wachstum einzelner Nervenzellen untersucht – um ihre Wirkung in der frühen Kindheit herauszufinden, wenn das Gehirn sich noch formt und mögliche Schädigungen besonders weitreichende Folgen haben.
Das Ergebnis: Die schädliche Wirkung der Zusatzstoffe auf das Gehirn (Neurotoxizität) addierte sich nicht, wie zu erwarten wäre, sondern vervielfachte sich. Eine Mischung aus dem blauen Farbstoff E133 und Glutamat (E621) etwa bremste das Zellwachstum nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, um 15,8 Prozent, sondern um 46,1 Prozent. Eins und eins ist bei Zusatzstoffen also nicht gleich zwei, sondern mitunter auch sechs.
Bei vielen Zusatzstoffen nehmen vor allem Kinder, aber auch Erwachsene weit mehr zu sich, als gut für sie ist. Das ergab eine Studie der EU-Kommission („Bericht der Kommission über die Aufnahme von Lebensmittelzusatzstoffen in der Europäischen Union“).
Als Maß fürs Unbedenkliche gilt der so genannte ADI-Wert (“Acceptable Daily Intake”: die akzeptable tägliche Dosis). Bei allen Additiven gaben die EU-Rechercheure eine Spannweite an, von jenen, die wenig Industrienahrung zu sich nehmen, bis zu den harten Fans von Industrie-Food.
Laut EU-Report nehmen von der in Cola enthaltenen Phosphorsäure (E338) Kleinkinder 53 bis 172 Prozent der ADI-Dosis zu sich – mithin bis zu beinahe dem Doppelten der täglich akzeptablen Menge.
Bei Aluminium schlucken Erwachsene bis zum 6,2-fachen der akzeptablen Dosis, Kinder sogar bis zum 7,5-fachen.
Höher noch sind nach den EU-Recherchen die Verzehrmengen bei darmschädigenden Zusatzstoffen. Zu diesen Stoffen zählen unter anderem Sorbitanmonolaurat (E493) und Sorbitanmonooleat (E494). Die gehören zu den Rekordhaltern in der EU-Liste: Bei Kleinkindern wird die akzeptable Dosis dauerhaft überschritten: Die Spannweite liegt zwischen 675 und 802 Prozent des ADI-Werts, reicht also vom Sechs- bis zum Achtfachen des Akzeptablen.
Noch mehr schlucken Junk-Food-Freunde von den sogenannten Sulfiten (E220 bis E227). Sie sind beispielsweise in Pulver-Kartoffelpüree enthalten, aber auch in Trockenfrüchten. Sie sind besonders bedenklich, weil sie das Wachstum aggressiver Bakterien namens Desulfovibrio fördern und das Leaky Gut Syndrom, die Durchlöcherung der Darmwand.
Bei Erwachsenen liegt der Sulfit-Verzehr bei 20 bis 266 Prozent des ADI-Werts, bei Kleinkindern bei 83 bis 1227 Prozent – also bis zum Zwölffachen dessen, was akzeptabel wäre.
Mittlerweile liegen die Verzehrmengen vermutlich noch höher, denn der Zusatzstoffabsatz steigt nach Industrieangaben Jahr für Jahr. Und die Studie stammt aus dem Jahr 2001. Er beruht auf Daten aus Ländern wie Österreich, Frankreich, Spanien, Großbritannien und anderen. Neuere Daten gibt es nicht, und deutsche Zahlen gibt es erst recht nicht.
Die Bundesrepublik Deutschland übt sich seither in Untätigkeit, wie andere Mitgliedsstaaten auch.
Die Haltung der offiziellen Stellen gegenüber den chemischen Zusätzen hat sich mit wachsender Verbreitung paradoxerweise liberalisiert.
In den 1950er Jahren waren die Fachleute der internationalen Gemeinschaft noch sehr besorgt über die künstlichen Additive. Etwa bei einer Konferenz, zu der zahlreiche Lebensmittelexperten und Mediziner ins Tessiner Städtchen Ascona kamen. Thema: “Schutz vor Gefährdung der Gesundheit durch Lebensmittelzusätze”. Das war auch der Titel des Tagungsberichts in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Schon 1956, ein Jahr zuvor, hatte eine andere Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) der Vereinten Nationen in Rom die Forderung aufgestellt, so ein “Lebensmittelzusatz” dürfe nur dann zugelassen werden, wenn er “im Interesse des Verbrauchers” liege.
Besorgnis rief damals vor allem die ständige Zufuhr dieser absichtlich zugesetzten »Gifte« in der alltäglichen Nahrung hervor, denn auch kleine Mengen können auf Dauer gefährlich werden. So könne sich also »die fortgesetzte Gabe kleiner Dosen sogar als wesentlich wirksamer« erweisen »als die Behandlung mit wenigen großen Dosen«, meinte der Freiburger Medizinprofessor Hermann Druckrey in seinem Bericht über die Zusatzstoffkonferenzen in Rom und Ascona, der 1957 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift erschien.
Das Fazit: »Nach den neuen Erkenntnissen liegen die Gefahren für eine gesundheitliche Schädigung durch Fremdstoffe in Lebensmitteln besonders in der Möglichkeit extrem chronischer Giftwirkungen.«
Die Gefahr ist umso größer, je mehr von diesen „Fremdstoffen“ die Leute zu sich nehmen. Das sieht auch die Europäische Union so. Sie hat stetig neue Chemikalien zugelassen, allerdings unter der Voraussetzung, den Verbrauch zu überwachen. Daher schrieb eine EU-Zusatzstoffrichtlinie aus dem Jahr 1995 vor, dass die Regierungen “innerhalb von drei Jahren«, also bis 1998, “Systeme zur Überwachung des Verbrauchs und der Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen” festlegen sollten.
Doch leider kam es nie dazu. Zwar hatten einzelne Länder Daten erhoben, auf denen der EU-Kommissionsbericht von 2001 beruhte. Doch andere Länder, darunter Deutschland, sträubten sich dagegen. Der für solche Erhebungen zuständige oberste Ernährungsforscher der deutschen Bundesregierung begründete seine Zurückhaltung mit dem verständlichen Interesse der Herstellerfirmen an Geheimhaltung der diesbezüglichen Rezepturdaten. “Dann müssten Sie die Informationen von den Firmen haben, wie viel Zusatzstoffe enthalten sind. Keine Firma kann gezwungen werden, ihre exklusiven Formulierungen für die einzelnen Produkte anzugeben. Sie hat schließlich die Urheberschaft einer bestimmten Zusammensetzung. Das ist etwas, worauf der Hersteller ein bestimmtes Anrecht hat, wenn er solche Produkte entwickelt hat, das nicht offenzulegen“, sagte der damalige Präsident der zuständigen Oberbehörde des Bundes, Professor Dr. Dr. Gerhard Rechkemmer. Er war zugleich hoher Funktionär der Industrie-Lobbyvereinigung International Life Sciences Institute (Ilsi).
Mittlerweile liegt die Aufgabe bei der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa. Und das Ansehen der ehemaligen „Gifte“ hat sich stark gewandelt.
Die Substanzen, die einst als „Fremdstoffe“ galten und sogar von den Fachleuten als „Gifte“ geschmäht wurden, wurden jetzt nicht nur rehabilitiert, sondern sogar geadelt. Sie gelten jetzt als „Stoffe zur Verbesserung von Lebensmitteln“ (im EU-Fachjargon: Food Improvement Agents). Zur Regelung des Umgangs mit diesen edlen Ingredienzen hat die Europäische Union ein ganzes Quartett aus Vorschriften erlassen, das „Food Improvement Agents Package“ (FIAP), bestehend aus vier Einzelverordnungen.
Die systematische Erfassung der Verzehrsmengen wurde dabei offenkundig verschleppt. Der Europäische Rechnungshof übte massive Kritik an dieser laxen Überwachungspraxis, in einem 2019 erschienenen Sonderbericht mit dem Titel »Chemische Gefahren in unseren Lebensmitteln. Politik der EU zur Lebensmittelsicherheit schützt uns, steht jedoch vor Herausforderungen«.
Dabei ging es den Prüfern neben Pflanzengiften, Lebensmittelzusatzstoffen und Aromen auch um zugesetzte Vitamine, die viele Verbraucher in der Hoffnung schlucken, sie täten ihrer Gesundheit Gutes.
Kontrollen? Fehlanzeige. Zwar herrscht den Rechnungsprüfern zufolge ständig »erheblicher Druck, neue Stoffe zuzulassen«, weshalb die Zahl der zugelassenen Stoffe stetig steigen würde. Doch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa sei mit der Prüfung und Bewertung der ständig steigenden Zahl von Chemikalien massiv überfordert, ihre Kapazitäten würden »überstrapaziert«. Mit der Folge, »dass die Behörden nicht in der Lage sind, alle regulierten Stoffe eingehend zu überprüfen«.
So herrscht in der Europäischen Union bezüglich der Chemie im Essen gewissermaßen Anarchie, monierte der zuständige Rechnungsprüfer: »Tausende Stoffe werden praktisch nicht kontrolliert.«
Unmissverständliche Kritik übten die Kontrolleure auch an einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die eigentlich »den Verzehr und die Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen und Aromastoffen überwachen« müssten, sich aber offenbar tot stellten. »Die Mitgliedstaaten stellen nicht immer die für wissenschaftliche Bewertungen erforderlichen Daten bereit, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet sind oder von der Efsa dazu aufgefordert wurden.«
Die Folge: Da die Überwachungsbehörden sich weigern, den Schutz vor Risiken durch Zusatzstoffe zu gewährleisten, müssen sich die Verbraucher selbst schützen. Die Informationen dazu liefert die DR. WATSON Datenbank der Zusatzstoffe.