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Appetit

Der Appetit ist sozusagen eine tragende Säule im körpereigenen Versorgungssystem, das der angemessenen Belieferung mit lebenswichtigen Nährstoffen, Baustoffen, Brennstoffen dient. Er ist somit gewissermaßen das Bindeglied zwischen Genuss und Gesundheit. Er regt zum Essen an, und er bestimmt, was verzehrt werden soll. Er sorgt dafür, dass der Körper bekommt, was er braucht - und er schützt auch vor Überdosierung: Denn wenn kein Appetit herrscht oder gar Überdruss, unterbleibt der Verzehr. Verhängnisvoll wirkt, wenn der Appetit manipuliert wird – zum Beispiel durch viele Inhaltsstoffe der Industrienahrung durch die verschiedenen Mitteln zur Geschmacksfälschung wie etwa das industrielle Aroma. Besonders wichtig ist es in der Kindheit, den Appetit wirken zu lassen und seine Zielsicherheit zu schulen durch ein angemessenes Angebot an echten Lebensmitteln.

 

Klassisch sind die Erkenntnisse der amerikanischen Kinderärztin Clara Davis aus dem frühen 20. Jahrhundert. Sie legte Kindern im Alter von etwa einem Jahr eine breite Auswahl von Nahrungsmittel vor, sie duften davon essen, worauf sie Appetit hatten. 

 

Ergebnis: Von manchen Lebensmitteln futterten die Kids zu manchen Zeiten überraschend viel, und dann wieder sehr wenig. Ganz nach ihrem individuellen Bedarf.  Den kleinen Versuchsteilnehmern tat das Experiment offenbar gut. Denn am Ende sah sie, so die Ärztin, lauter »lachende, aktive, glückliche Kinder.«

 

Der »Trick« bei der appetitgesteuerten Nahrungswahl allerdings sei, meinte Davis, dass die Speisen möglichst unverfälscht dargeboten würden. Die Lebensmittel in ihrer Untersuchung waren daher naturbelassen, teils roh, teils gegart, aber immer ungemischt und ungewürzt. Bei komplizierteren Nahrungsmitteln oder industriell verarbeiteten Speisen könnte der Appetit auch »irren«.

 

Mittlerweile wurden ihre Erkenntnisse durch neuere Forschungsergebnisse unterfüttert, etwa aus den Neurowissenschaften, oder auch durch Studien zu den Funktionen der Hormone, die für die Nahrungsaufnahme verantwortlich sind.

 

Der Appetit lenkt die Auswahl in die Richtung jener Nahrungsmittel, die dem Körper die nötigen Inhaltsstoffe verschaffen, die er aktuell benötigt. 

 

Was der Körper gerade braucht, das hängt von der Jahreszeit ab, von der Tagesform, auch davon, ob ein Mensch unter Stress steht, gerade vom Joggen kommen oder eine Grippe überstanden hat.

 

Koordiniert wird alles im Gehirn. Im sogenannten limbischen System dort sitzen die Kontrolleure, die darauf achten, dass der Mensch das richtige isst, dass er seinen Bedarf deckt an Nährstoffen, dass er auf das Appetit bekommt, was fehlt: Apfel oder Ananas, Sushi oder Sauerbraten.

 

Im Gehirn ist gespeichert, welcher Geschmack für welche Nährstoffe steht - und das limbische System sorgt durch die Steuerung des Appetits, dafür, dass das Fehlende verzehrt wird. Und dass es auch nicht zu viel ist. Maßgeblich beteiligt sind daran die körpereigenen Hormone und Botenstoffe.

 

Sie können allerdings durch viele Bestandteile der industriellen Nahrung in die Irre geführt werden: Etwa durch die sogenannten Plastikhormone, das industrielle Aroma, den Geschmacksverstärker Glutamat. Glutamat ist selbst ein Botenstoff, einer der wichtigsten im Gehirn  –  und er wirkt genau dort, wo der Appetit gesteuert wird.

 

Schon länger hatten Forscher auf die appetitstimulierende Wirkung des so genannten Geschmacksverstärkers hingewiesen. Französische Wissenschaftler etwa fanden heraus, dass eine Fleischpastete in größeren Mengen verzehrt wird, wenn sie Glutamat enthält. Die Versuchspersonen essen schneller, kauen weniger, machen kürzere Pausen zwischen den Bissen.

 

Spanische Wissenschaftler hatten sich ausgiebig mit der Rolle von Glutamat bei der Nahrungsaufnahme beschäftigt – und dem Stoff eine derart wichtige Rolle bei der Steuerung der hormonellen Aktivitäten zur Nahrungsaufnahme zugedacht, dass sie sogar eine völlig »neue Theorie für die Übergewichts-Epidemie« für nötig halten.

 

Sie hatten festgestellt, dass die Substanz diverse Verletzungen in wichtigen Hirnregionen hervorrufen kann: So war bei den Versuchstieren eine der Zonen für die Steuerung der Appetitfunktionen, der so genannte Nucleus arcuatus, völlig zerstört.

 

Glutamat hatte auch Auswirkungen auf die Tätigkeit der prominenten Appetithormone: Der Level beim sogenannten Schlankheitshormon Leptin zum Beispiel war deutlich gesunken, was bedeutet, dass der Appetit steigt, ohne dass es einen materiellen Mangel gibt.

 

Auch der Fruchtzucker Fruktose wirkt auf dieses System, hält den Leptin-Level künstlich niedrig – und sendet so, unnötigerweise, ständig Befehle zur Nahrungsaufnahme.

 

Der Hintergrund ist ein evolutionärer: Der Körper möchte die Inhaltsstoffe der Früchte möglichst umfassend sichern und schaltet daher die Signalkette zur Sättigung vorübergehend aus. Wenn echte Früchte kommen, ist das auch sinnvoll, nicht aber bei isolierter Fruktose etwa in Fertignahrung oder Softdrinks.

 

Evolutionär ideal angepasst an das System der Appetitsteuerung ist natürlich die traditionelle Ernährung mit echten Lebensmitteln, Früchten, Gemüse, Milch, Eier, Fleisch, ohne Zusatzstoffe zur Geschmacksfälschung.

 

Eine zeitgemäße Form der gehirngerechten, appetitgesteuerten Versorgung ist die Gourmet-Diät, bei der die Kategorien von Genuss und Geschmack zur Basis einer kulinarischen Philosophie werden, bei der es auch um die Umwelt, die Bedürfnisse der Mitgeschöpfe und des ganzen Planeten geht.